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Anmerkung zu:BGH 11. Zivilsenat, Urteil vom 15.11.2022 - XI ZR 551/21
Autor:Agnes Freise, RA'in und Syndikusanwältin
Erscheinungsdatum:21.03.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 488 BGB, § 3 KredWG, Art 12 GG, § 1 BauSparkG, § 675f BGB, § 675l BGB, § 675o BGB, § 675p BGB, § 675y BGB, § 7 AltZertG, § 7a AltZertG, § 7b AltZertG, § 1 AltZertG, § 2a AltZertG, § 307 BGB, § 5 AltZertG, § 84 EStG, § 85 EStG, § 5 BauSparkG, § 195 BGB, § 812 BGB, § 199 BGB, EWGRL 13/93, 12016P047, 12016E288, 12016P051
Fundstelle:jurisPR-BKR 3/2023 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Stephan Meder, Universität Hannover
Dr. Anna-Maria Beesch, RA'in und FA'in für Bank- und Kapitalmarktrecht
Zitiervorschlag:Freise, jurisPR-BKR 3/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Zulässigkeit von Bausparentgelten im Lichte der BGH-Rechtsprechung und Verjährung von Erstattungsansprüchen - zugleich Besprechung des Urteils des BGH vom 15.11.2022 - XI ZR 551/21

A. Problemstellung

Der BGH hat sich mit der Frage befasst, ob ein jährliches Entgelt in der Sparphase des Bausparvertrages wirksam in den Allgemeinen Bausparbedingungen (ABB) einer Bausparkasse vereinbart werden kann.

Die streitgegenständliche Klausel hatte folgenden Wortlaut:

„Die Bausparkasse berechnet während der Sparphase jeweils bei Jahresbeginn - bei nicht vollständigen Kalenderjahren anteilig - für jedes Konto des Bausparers ein Jahresentgelt von 12 EUR p.a.“

Der BGH sah diese Klausel, mit der die bauspartechnische Verwaltung, Kollektivsteuerung und Führung einer Zuteilungsmasse in der Sparphase eines Bausparvertrages bepreist wurde, als kontrollfähige Preisnebenabrede an, die einer Inhaltskontrolle nicht standhielt.

Gleichzeitig hielt der BGH in den Urteilsgründen daran fest, dass die Hauptleistung einer Bausparkasse in der Sparphase auch in der Verschaffung eines Rechtsanspruchs bzw. der Einräumung einer Option auf das spätere Bauspardarlehen bestehe. Darüber hinaus hat der BGH klargestellt, dass auch Bausparkassen rechtlich nicht geschuldete Sonderleistungen in AGB wirksam bepreisen können.

Vor diesem Hintergrund stellt sich zum einen die Frage, welche Auswirkungen dieses BGH-Urteil auf verschiedene Bausparentgelte hat (vgl. unter D. I.), und insbesondere welche Besonderheiten bei Entgelten in den Vertragsbedingungen von zertifizierten Altersvorsorge-Bausparverträgen bestehen (vgl. unter D. II.). Zum anderen ist zu klären, wann bereicherungsrechtliche Ansprüche der Bausparer auf Erstattung der vom BGH verworfenen Entgelte verjähren (vgl. unter D. III).

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Mit dem vorliegenden Urteil hat sich der BGH mit der Frage der Wirksamkeit einer ABB-Klausel zu einem jährlichen Entgelt in der Sparphase eines Bausparvertrages befasst.

Nach Auffassung des BGH handelt es sich bei der streitgegenständlichen Klausel nicht um eine der gerichtlichen Inhaltskontrolle entzogene Preishauptabrede, sondern um eine nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB kontrollfähige Preisnebenabrede.

Entsprechend dem Vortrag in der Revision, dass mit dem Jahresentgelt der Aufwand für die Entgegennahme der Spar- und Tilgungsleistungen der Bausparer, für die Gesamtsteuerung des Bausparkollektivs und für die ständige Bewertung der Zuteilungsreife der laufenden Bausparverträge abgegolten werden soll, sei die angegriffene Entgeltklausel dahin auszulegen, dass mit ihr Verwaltungstätigkeiten der Bausparkasse in der Sparphase bepreist werden, die sich mit der bauspartechnischen Verwaltung, Kollektivsteuerung und Führung einer Zuteilungsmasse umschreiben lassen. Dem Wortlaut der angegriffenen Klausel ließen sich weder der Grund für die Erhebung des Jahresentgelts noch die damit abgegoltenen Leistungen der Bausparkasse entnehmen. § 17 Abs. 2 Satz 1 ABB bestimmt, dass die Bausparkasse dem Bausparer für besondere, über den regelmäßigen Vertragsablauf hinausgehende Leistungen Entgelte und Gebühren nach Maßgabe ihrer Gebührentabelle berechnet. Hieraus ergebe sich im Umkehrschluss, dass das in § 17 Abs. 1 ABB geregelte Jahresentgelt dem „regelmäßigen Vertragsablauf“ zuzuordnen sei und damit den Verwaltungsaufwand abgelten solle, der im Zusammenhang mit der Durchführung des Bausparvertrages regelmäßig und ohne gesonderten Auftrag des Bausparers während der Sparphase anfalle. Bei diesen Verwaltungstätigkeiten handle es sich nicht um die von der Bausparkasse im Rahmen der Sparphase geschuldete Hauptleistung.

Die von der Bausparkasse in der Sparphase geschuldete Hauptleistung bestehe einerseits gemäß § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB in der Zahlung der Zinsen auf das Bausparguthaben und andererseits gemäß § 1 Abs. 2 BauSparkG darin, dem Bausparer nach der Leistung der Bauspareinlagen einen Anspruch auf Gewährung eines niedrig verzinslichen Bauspardarlehens aus der Zuteilungsmasse zu verschaffen. Weitere vertraglich vereinbarte Hauptleistungspflichten der Bausparkasse bestünden in der Sparphase nicht.

Die als bauspartechnische Verwaltung, Kollektivsteuerung und Führung einer Zuteilungsmasse umschriebene Verwaltungstätigkeit sei selbst nicht die Hauptleistung der Bausparkasse, sondern lediglich notwendige Vorleistung für die eigentliche Leistungserbringung, nämlich die Gewährung eines relativ niedrig verzinslichen Bauspardarlehens. Es handle sich hierbei um „vorbereitende interne Verwaltungstätigkeiten der Bausparkasse“, die dazu dienten, die eigene Leistungsfähigkeit zum geschuldeten Leistungszeitpunkt sicherzustellen. Gegen die Einstufung dieser Tätigkeiten der Bausparkasse als deren vertragliche Hauptleistung in der Sparphase spreche, dass der Bausparer weder aus dem Bausparkassengesetz noch aus dem Bausparvertrag einen Anspruch darauf habe, dass die Bausparkasse Tätigkeiten der Kollektivverwaltung, Kollektivsteuerung und Führung der Zuteilungsmasse erbringe.

Das Jahresentgelt stelle sich auch nicht als Vergütung für eine sonstige, rechtlich selbstständige, gesondert vergütungsfähige Leistung der Beklagten dar. Die Beklagte leiste die mit der bauspartechnischen Verwaltung, Kollektivsteuerung und Führung einer Zuteilungsmasse umschriebenen Tätigkeiten aufgrund einer eigenen gesetzlichen, nicht einer jeweils erst einzelvertraglich im Verhältnis zu jedem einzelnen Bausparer begründeten Verpflichtung.

Dass die Bausparkasse ohne Vereinnahmung des beanstandeten Entgelts das kalkulatorische Gefüge aus Guthabenzinsen, Zuteilungsverfahren und Darlehenszinsen möglicherweise neu ausrichten muss, könne die Kontrollfreiheit der streitigen Klausel ebenfalls nicht begründen. Durch diese Umstände werde das Jahresentgelt nicht zu einem Teil des Gefüges aus Leistung und Gegenleistung des Bausparvertrages. Entscheidend sei vielmehr allein, ob es sich bei dem vereinnahmten Entgelt um die Festlegung des Preises für eine von der Beklagten angebotene vertragliche Leistung handelt.

Der eröffneten Inhaltskontrolle halte die beanstandete Klausel nicht stand. Die Bausparkasse habe das aus der Abweichung von wesentlichen gesetzlichen Grundgedanken resultierende Indiz einer unangemessenen Benachteiligung der Bausparer nicht widerlegt.

Die Erhebung der Jahresentgelte sei nicht durch bausparspezifische Individualvorteile der einzelnen Bausparer sachlich gerechtfertigt. Bausparkassen könnten bei Abschluss des Bausparvertrages von ihren Vertragspartnern eine Abschlussgebühr erheben. Bausparer müssten in der Sparphase zudem hinnehmen, dass ihre Spareinlagen bezogen auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Bausparvertrages nur vergleichsweise niedrig verzinst werden. Bausparspezifischen Vorteilen der Bausparer in der Darlehensphase stünden somit bereits ohne Berücksichtigung des Jahresentgelts nicht unerhebliche Nachteile in der Sparphase gegenüber.

Auch kollektive Gesamtinteressen der Bauspargemeinschaft rechtfertigten die Erhebung eines Jahresentgelts in der Sparphase nicht. Mit einem Jahresentgelt, das für die bauspartechnische Verwaltung und Steuerung des Kollektivs sowie die Führung der Zuteilungsmasse berechnet wird, werde kein Beitrag zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Bausparwesens geleistet, der geeignet wäre, die mit ihrer Erhebung für den einzelnen Bausparer verbundenen Nachteile aufzuwiegen. Das Jahresentgelt fließe nicht in die dem Kollektiv der Bausparer für die Zuteilung von Bauspardarlehen zur Verfügung stehende Zuteilungsmasse, sondern stelle für die Beklagte eine Ertragsposition dar, die das Jahresergebnis erhöht.

C. Kontext der Entscheidung

In Vertretung für Prof. Dr. Ellenberger eröffnete Dr. Grüneberg am 15.11.2022 die mündliche Verhandlung im Besprechungsfall mit dem Hinweis, dass die vorläufige Einschätzung des XI. Zivilsenats diejenigen, die die Rechtsprechung des Senats kennen, nicht überraschen werde (so auch Grüneberg, WM 2023, 405, 407). Und in der Tat reiht sich dieses Urteil ein in eine Reihe von Entscheidungen des XI. Senats des BGH zur Unzulässigkeit von Entgeltklauseln in den AGB von Kreditinstituten.

Das vom Bankensenat zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmte Urteil zitiert an vielen Stellen die bisherige BGH-Rechtsprechung. Im Hinblick speziell auf die Entgeltklauseln in den Allgemeinen Bausparbedingungen (ABB) werden in den Urteilsgründen insbesondere folgende BGH-Urteile genannt, auf die im Folgenden eingegangen werden soll:

BGH, Urt. v. 07.12.2010 - XI ZR 3/10, zur Wirksamkeit einer ABB-Klausel zur Abschlussgebühr;
BGH, Urt. v. 08.11.2016 - XI ZR 552/15, zur Unwirksamkeit einer ABB-Klausel zur Darlehensgebühr;
BGH, Urt. v. 09.05.2017 - XI ZR 308/15, zur Unwirksamkeit einer ABB-Klausel zur jährlichen Kontogebühr in der Darlehensphase.

I. Bauspartechnische Verwaltung, Kollektivsteuerung und Führung der Zuteilungsmasse als nicht gesondert bepreisbare Verwaltungstätigkeit einer Bausparkasse

Der Senat hatte bereits in seinem Urteil vom 09.05.2017 - XI ZR 308/15, bezogen auf die damals streitgegenständliche Kontogebühr in der Darlehensphase eines Bausparvertrages, entschieden, dass die als bauspartechnische Verwaltung, Kollektivsteuerung und Führung einer Zuteilungsmasse umschriebenen Verwaltungstätigkeiten der Bausparkasse in der Darlehensphase des Bausparvertrages nicht gesondert bepreist werden könnten. Entsprechende Klauseln seien als Preisnebenabreden der Inhaltskontrolle zugänglich und benachteiligten den Bausparer unangemessen.

In dem hier besprochenen Urteil vom 15.11.2022 hat der Senat nunmehr diese Erwägungen sowohl im Hinblick auf die Annahme einer Preisnebenabrede als auch im Hinblick auf deren unangemessen benachteiligende Wirkung auf jährliche Entgelte zur Bepreisung der bauspartechnischen Verwaltung, Kollektivsteuerung und Führung einer Zuteilungsmasse in der Sparphase des Bausparvertrages übertragen: Es handle sich bei diesen Tätigkeiten auch in der Sparphase eines Bausparvertrages lediglich um eine „notwendige Vorleistung“ für die Gewährung eines Bauspardarlehens (Rn. 24 sowie BGH, Urt. v. 09.05.2017 - XI ZR 308/15 Rn. 29) bzw. – nunmehr noch klarer formuliert – um „vorbereitende interne Verwaltungstätigkeiten“ der Bausparkasse, durch die diese sicherstellt, dass sie die Ansprüche der Bausparer aus § 1 Abs. 2 Satz 1 BauSparkG auf Gewährung von Bauspardarlehen erfüllen kann (Rn. 24).

Während der Senat im Urteil zur Kontogebühr in der Darlehensphase eine klauselmäßige Abweichung von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung in einer Abweichung von dem für die Darlehensphase eines Bausparvertrages allein maßgeblichen Leitbilds des Darlehensrechts nach § 488 Abs. 1 BGB gesehen hatte (BGH, Urt. v. 09.05.2017 - XI ZR 308/15 Rn. 36 bis Rn. 37), begründet der Senat diese Abweichung bei dem hier im Besprechungsfall streitgegenständlichen jährlichen Entgelt in der Sparphase bereits mit dem (wohl aus Sicht des BGH gleichermaßen für Entgelte in der Darlehensphase zutreffenden) Hinweis, dass mit dem Entgelt der Aufwand für Tätigkeiten der bauspartechnischen Verwaltung, Kollektivsteuerung und Führung einer Zuteilungsmasse abgegolten werden soll und die Bausparkasse diese Verwaltungstätigkeiten bereits nach dem Bausparkassengesetz zu erbringen hat (Rn. 34 bis Rn. 35 des Besprechungsurteils).

Im Rahmen der Abwägung nennt der Senat als individuelle Vorteile eines Bausparvertrages zu Recht den im Vergleich zum Marktumfeld bei Vertragsabschluss geringen Nominalzins des Bauspardarlehens und die einseitige Verteilung des Zinsänderungsrisikos auf die Bausparkasse (Rn. 38). Nicht nachvollziehbar hingegen ist, dass der Senat eine fehlende Rechtfertigung der jährlichen Entgelte für Tätigkeiten der Kollektivsteuerung in der Sparphase durch individuelle Vorteile der Bausparer in erster Linie damit begründen will, dass Bausparer in der Sparphase „hinnehmen müssten, dass ihre Spareinlagen bezogen auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Bausparvertrages nur vergleichsweise niedrig verzinst werden“. In der Niedrigzinsphase der letzten Jahre, in der Kreditinstitute dazu übergegangen sind, Verbrauchern für ihre Spareinlagen Negativzinsen zu berechnen, traf diese Aussage gerade nicht zu. Denn jedwede Verzinsung von Bauspareinlagen lag im Vergleich mit anfallenden Negativzinsen sogar „über dem Markt“ (vgl. Freise, jurisPR-BKR 3/2022 Anm. 1). Beispielsweise hat der vzbv darauf hingewiesen, dass zur Vermeidung von kostspieligen Negativzinsen bzw. Verwahrentgelten bei Girokonten auch Bausparverträge als Alternative erwogen wurden (vgl. Beitrag des vzbv mit dem Titel „Verwahrentgelte – was Sie jetzt wissen müssen“ vom 21.12.2022, abrufbar unter: https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/geld-versicherungen/sparen-und-anlegen/verwahrentgelte-was-sie-jetzt-wissen-muessen-64023). Selbst einige Kommunen hatten sich zur gezielten Vermeidung von teuren Negativzinsen für einen Abschluss von Bausparverträgen entschieden (beispielhaft: Beitrag in der Weiler Zeitung vom 09.07.2021 mit dem Titel „Bausparen statt Negativzins zahlen“, abrufbar unter https://www.verlagshaus-jaumann.de/inhalt.kandern-bausparen-statt-negativzins-zahlen.774947d3-e59e-47ac-be87-2d8eb738027f.html). Somit konnten Bausparer, die in allen Jahren der Niedrigzinsphase auf ihre Bauspareinlagen stets eine – wenn mitunter auch niedrige – Verzinsung erhielten, hierdurch sogar von zusätzlichen individuellen Vorteilen profitieren. Dies lässt der Senat bei der Abwägung ebenso unberücksichtigt wie die geringe Höhe des streitbefangenen Jahresentgelts von 12 Euro jährlich (hierzu kritisch: Herresthal, ZIP 2023, 333, 335).

Der Senat nimmt zunächst richtigerweise an, dass die Tätigkeiten der Kollektivsteuerung in der Sparphase „im Interesse der Bausparer“ die Wartezeit möglichst kurzhalten (Rn. 30) bzw. die nach teilweise vertretener Auffassung gegenüber den Bausparern geschuldete zeitnächste Zuteilung des Bausparvertrages ermöglichen sollen (Rn. 25). Demgegenüber führt der Senat im Rahmen der Abwägung die Verringerung der Ausfallswahrscheinlichkeit von gewährten Bauspardarlehen als vermeintlichen Vorteil der Steuerungstätigkeit der Bausparkasse in der Sparphase eines Bausparvertrages auf (Rn. 40), was der Argumentation für die Unwirksamkeit von Entgelten in der Darlehensphase entnommen ist (vgl. BGH, Urt. v. 08.11.2016 - XI ZR 552/15 Rn. 50; BGH, Urt. v. 09.05.2017 - XI ZR 308/15 Rn. 46), aber selbstredend für die hier allein streitgegenständliche Sparphase nicht passt.

Entgegen der ganz überwiegenden Auffassung im Schrifttum (vgl. Dörfler/Trappe, BKR 2022, 245, 247; Edelmann, WuB 2017, 665, 668; Freise, jurisPR-BKR 9/2019 Anm. 1; Freise, jurisPR-BKR 3/2022 Anm. 1; Haertlein, BKR 2020, 321, 328 f.; Herresthal, WM 2019, 897, 904; Linardatos, WuB 2022, 208, 209; Weber in BeckOGK/BGB, § 488 BGB Rn. 318.5 (Stand: Oktober 2022)) geht der XI. Senat schließlich davon aus, dass das jährliche Entgelt in der Sparphase nicht durch kollektive Interessen der Bauspargemeinschaft gerechtfertigt sei (Rn. 39 f.).

II. Bepreisbarkeit der Hauptleistung einer Bausparkasse in der Sparphase

Der XI. Senat stellt in den Urteilsgründen der Entscheidung vom 15.11.2022 klar, dass ein Bausparvertrag in der Sparphase zwei Hauptleistungen der Bausparkasse aufweise. Zu diesen Hauptleistungen einer Bausparkasse gehöre es – neben der Zahlung von Zinsen auf das Bausparguthaben nach § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB – auch, „dem Bausparer nach der Leistung der Bauspareinlagen einen Anspruch auf Gewährung eines niedrig verzinslichen Bauspardarlehens aus der Zuteilungsmasse zu verschaffen“ (Rn. 23 des Besprechungsurteils).

Im Hinblick auf diese Hauptleistung nimmt der Senat Bezug auf Rn. 29 seines Urteils vom 09.05.2017 (XI ZR 308/15) zur jährlichen Kontogebühr bei Bauspardarlehen, wo er in ähnlicher Weise ausgeführt hatte:

„Gemäß § 1 Abs. 2 BSpkG erwirbt der Bausparer nach Leistung seiner Spareinlagen in das zweckgebundene Vermögen einen Rechtsanspruch auf Gewährung eines niedrig verzinslichen Bauspardarlehens aus der Zuteilungsmasse. Dies ist in der Ansparphase die Hauptleistung der Beklagten als Bausparkasse aus dem Bausparvertrag“.

Beide Formulierungen beruhen wiederum auf dem Gesetzeswortlaut des § 1 Abs. 2 BauSparkG. Anders als etwa § 488 Abs. 1 BGB enthält § 1 Abs. 2 BauSparkG als aufsichtsrechtliche Norm keine vollständige Nennung der Hauptleistungspflichten der Bausparvertragsparteien. Beispielsweise wird eine Pflicht der Bausparkasse zur Verzinsung des Guthabens nicht erwähnt. Im Fokus stehen vielmehr der Charakter des Bausparens als ausdrücklich in § 3 Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 2 KWG erlaubte Form des Zwecksparens (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 3 BauSparkG) und der in der Erlangung eines Anspruchs auf Gewährung eines Bauspardarlehens liegende Zweck eines jeden Bausparvertrages (vgl. BGH, Urt. v. 21.02.2017 - XI ZR 185/16 Rn. 30).

§ 1 Abs. 2 Satz 1 BauSparkG lautet:

„Bausparer ist, wer mit einer Bausparkasse einen Vertrag schließt, durch den er nach Leistung von Bauspareinlagen einen Rechtsanspruch auf Gewährung eines Bauspardarlehens erwirbt (Bausparvertrag).“

Diese in § 1 Abs. 2 Satz 1 BauSparkG verankerte Hauptleistung der Bausparkasse in der Sparphase konkretisiert und präzisiert der Senat in den Urteilsgründen der Entscheidung vom 15.11.2022, indem er klarstellt, dass diese Hauptleistung in der „Einräumung der Option“ auf das Bauspardarlehen bestehe (Rn. 25). Bei dieser Aussage nimmt der Senat wiederum Bezug auf seine Aussagen in dem Abschlussgebühren-Urteil vom 07.12.2010 (XI ZR 3/10):

Der Senat hatte in der damaligen Entscheidung die ABB-Klausel zur Abschlussgebühr als eine Vertriebsgebühr ausgelegt und in diesem Sinne als eine den Bausparer nicht benachteiligende und wirksame Preisnebenabrede qualifiziert. Im Rahmen der Auslegung hatte der Senat zunächst erwogen, die Klausel zur Abschlussgebühr als kontrollfreie Preishauptabrede einzuordnen. Eine solche Preishauptabrede - deren Annahme jedoch aufgrund des nicht eindeutigen Klauselwortlauts und unter Zugrundelegung der kundenfeindlichsten Auslegung vom Senat im Ergebnis verworfen wurde (BGH, Urt. v. 07.12.2010 - XI ZR 3/10 Rn. 33) - könne angenommen werden, wenn der Bausparer die Gebühr als „Eintrittsgebühr“ für seine Aufnahme in die „Bausparergemeinschaft“ zahlt und er damit die „Option erwirbt, später ein Darlehen ohne Rücksicht auf die Zinsentwicklung am Kapitalmarkt zu einem schon bei Abschluss des Bausparvertrages festgelegten, besonders günstigen Zinssatzes zu erhalten“ (BGH, Urt. v. 07.12.2010 - XI ZR 3/10 Rn. 30). Dabei setzte der Senat die „Einräumung der Darlehensoption“ begrifflich gleich mit der „Verschaffung einer Anwartschaft“ auf das Bauspardarlehen (BGH, Urt. v. 07.12.2010 - XI ZR 3/10 Rn. 32). Auf diese Einräumung der Option auf ein Bauspardarlehen hatte der BGH auch im Urteil zur Kündigung von Bausparverträgen abgestellt und daraus hergeleitet, dass der Vertragszweck des Bausparvertrages in der Erlangung eines Anspruchs auf Gewährung eines Bauspardarlehens (§ 1 Abs. 2 Satz 1 BauSparkG) bestehe (BGH, Urt. v. 21.02.2017 - XI ZR 185/16 Rn. 30).

Festzuhalten ist daher, dass der Senat mit dem Besprechungsurteil in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung klargestellt hat, dass die Verschaffung der „Anwartschaft“ auf das Bauspardarlehen (gleichbedeutend mit der Einräumung der „Option“ auf das Bauspardarlehen) eine Hauptleistung der Bausparkasse in der Sparphase des Bausparvertrages ist (vgl. hierzu bereits: Freise, jurisPR-BKR 3/2022 Anm. 1 unter C. I 2; Herresthal, WM 2019, 897, 898 ff.; Linardatos, WuB 2022, 208, 210; Peterek in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Bankrecht und Kapitalmarktrecht, 6. Aufl. 2022, 2. Hauptteil, 9.Teil, Einlagen- und Spargeschäft, Rn. 9.177; Schnauder, WM 2022, 645, 646).

Hieraus folgt, dass eine Bausparkasse in der Ansparphase – neben der in der Praxis üblichen und vom BGH als wirksam anerkannten Abschlussgebühr, mit der Kosten des Vertriebs abgedeckt werden (Rn. 38 des Besprechungsurteils, mit Verweis auf BGH, Urt. v. 07.12.2010 - XI ZR 3/10 Rn. 37 ff.) – auch ihre vertragliche Hauptleistung in Form der Verschaffung der Anwartschaft bzw. der Einräumung der Option auf das Bauspardarlehen nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB kontrollfrei bepreisen kann (vgl. Edelmann, BB 2023, 332, 337 f.; Herresthal, ZIP 2023, 333, 337 ff.; Linardatos, WuB 2022, 208, 210; Piekenbrock/Rodi, WuB 2023, 60, 63 f.; dies verkennt Diehm, EWiR 2023, 1, 2 f., der trotz Rn. 23 der Urteilsgründe annimmt, als Hauptleistung einer Bausparkasse sei nur die Verzinsung des eingezahlten Bausparguthabens geschuldet).

Einer kontrollfreien Bepreisung dieser Hauptleistung der Bausparkasse steht auch Rn. 25 der Urteilsgründe der BGH-Entscheidung vom 15.11.2022 nicht entgegen. Der BGH stellt fest, „diese Verwaltungstätigkeiten korrespondieren auch zeitlich und nach der Art ihrer Erhebung nicht mit einer Hauptleistungspflicht der Beklagten“. Diese Bemerkung bezieht sich allein auf die jährlichen Entgelte für die Verwaltungstätigkeiten zum Zwecke der bauspartechnischen Verwaltung, Kollektivsteuerung und Führung der Zuteilungsmasse, nicht aber auf Entgelte für die Verschaffung der Darlehensanwartschaft selbst.

Entscheidend für die Kontrollfreiheit der Entgeltklausel in den ABB einer Bausparkasse ist dabei allein, ob es sich bei dem vereinnahmten Entgelt um die „Festlegung des Preises“ für eine von der Bausparkasse angebotene Hauptleistung – oder einer Sonderleistung – handelt (Rn. 31 des Besprechungsurteils), wobei für die Auslegung in erster Linie der Wortlaut der Klausel maßgeblich ist (vgl. Rn. 19 des Besprechungsurteils). Die Erfüllung der Hauptleistungspflicht durch die Bausparkasse beinhaltet dabei nicht nur die Verschaffung der Anwartschaft auf das Bauspardarlehen, sondern auch deren ständige „Aufrechterhaltung“ bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Auszahlung des Bauspardarlehens erfolgt oder der Bausparvertrag beendet wird (vgl. Edelmann, BB 2023, 332, 337 f.; Herresthal, ZIP 2023, 333, 338; Linardatos, WuB 2022, 208, 210; Piekenbrock/Rodi, WuB 2023, 60, 63 f.; Schnauder, WM 2022, 645, 654: „Einräumung und Entwicklung der Darlehensoption“).

Diese Freiheit, das Entgelt für die angebotene Leistung selbst festzusetzen, ist verfassungsrechtlich durch Art. 12 Abs. 1 GG als Ausfluss der Privatautonomie gewährleistet (BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 28.08.2000 - 1 BvR 1821/97 Rn. 22; BVerfG, Beschl. v. 15.12.1999 - 1 BvR 1904/95 - BVerfGE 101, 331, Rn. 68) und auch durch den Gesetzgeber des AGB-Rechts mehrfach zugrunde gelegt worden (vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des AGB-Gesetzes v. 20.10.1995, BT-Drs. 13/2713, S. 4 f.; Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz) v. 06.08.1975, BT-Drs. 7/3919, S. 22). Während die Senatsrechtsprechung zur Eröffnung einer Inhaltskontrolle von „Preisnebenabreden“ im Schrifttum vielfach als unvereinbar mit der Privatautonomie kritisiert wird (vgl. Früh in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Bankrecht und Kapitalmarktrecht, 6. Aufl. 2022, Einführung, Rn. 1.94; Placzek, RdZ 2022, 26; Kropf, WM 2019, 1723, 1729 ff.), geht auch der Senat in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine gerichtliche Preiskontrolle von Preisen für Hauptleistungen (dasselbe gilt für Sonderleistungen) nicht stattfinden darf. Die Festlegung von Preisen für vertragliche Leistungen zählt auch der BGH zum Kernbereich der Ausübung privatautonomer Handlungsfreiheit und erkennt dabei an, dass eine Bausparkasse in der konkreten Ausgestaltung ihres Preisgefüges grundsätzlich frei ist (BGH, Urt. v. 07.12.2010 - XI ZR 3/10 Rn. 31, BGH, Urt. v. 09.05.2017 - XI ZR 308/15 Rn. 28). Eine Bausparkasse könne daher ihre Leistung beispielsweise entweder zu einem Pauschalpreis anbieten oder den Preis in mehrere Preisbestandteile oder Teilentgelte aufteilen (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 24.04.2018 - XI ZR 335/17; BGH, Urt. v. 07.12.2010 - XI ZR 3/10 Rn. 31).

Daher wäre einer Entgeltklausel in den ABB, mit der die Verschaffung einer Anwartschaft bzw. einer Option auf das Bauspardarlehen bepreist wird, stets als Preishauptabrede einer gerichtlichen Kontrolle nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB entzogen, ohne dass es beispielsweise darauf ankäme, ob hierfür ein einziges Entgelt oder mehrere Teilentgelte erhoben werden, ob die Höhe des Preises für diese Hauptleistung einem festen Betrag entspricht oder von der Bausparsumme abhängig ist, sowie ob dieser Preis einmalig bei Vertragsabschluss oder jährlich während der Sparphase zu entrichten ist (vgl. hierzu ausführlich Herresthal, ZIP 2023, 333, 338 ff.).

D. Auswirkungen für die Praxis

Im Weiteren sollen zunächst die Aussagen des BGH zur Wirksamkeit verschiedener Bausparentgelte zusammengefasst werden (dazu unter I. und II.), bevor der Frage der Verjährung der Ansprüche im Hinblick auf die vom BGH als unwirksam angesehenen Entgelte nachgegangen wird (dazu unter III.).

I. Folgen des BGH-Urteils für verschiedene Entgeltklauseln der Bausparkassen

Der BGH hat in dem hier besprochenen Urteil die streitgegenständliche Klausel, wonach in der Sparphase ein „Jahresentgelt“ nach dem Klauselwortlaut „für jedes Konto des Bausparers“ belastet wurde, als eine den Bausparer unangemessen benachteiligende und daher unwirksame Preisnebenabrede angesehen. Die Bausparkasse hat noch am Tag der Urteilsverkündung reagiert und angekündigt, das streitgegenständliche Jahresentgelt nicht mehr zu belasten (vgl. Handelsblatt vom 16.11.2022, „BHW Bausparkasse verzichtet nach BGH-Urteil auf Kontogebühren – Wettbewerber zögern noch“, abgerufen unter: https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/banken/bausparen-bhw-bausparkasse-verzichtet-nach-bgh-urteil-auf-kontogebuehren-wettbewerber-zoegern-noch/28813428.html).

Das BGH-Urteil dürfte unter Berücksichtigung der Aussagen des XI. Zivilsenats in der Urteilsbegründung darüber hinaus auch Auswirkungen für ABB-Klauseln zu Kontogebühren haben, mit denen eine Bausparkasse in der Sparphase eines Bausparvertrages Tätigkeiten der bauspartechnischen Verwaltung, Kollektivsteuerung und Führung der Zuteilungsmasse bepreist (vgl. dazu bereits unter C. I.).

Der BGH hat hingegen daran festgehalten, dass die Hauptleistung einer Bausparkasse in der Sparphase auch darin besteht, dem Bausparer eine Anwartschaft auf das Bauspardarlehen zu verschaffen bzw. ihm die Option auf ein Bauspardarlehen einzuräumen. ABB-Klauseln zu einmaligen oder jährlichen Entgelten, die diese Hauptleistung der Bausparkasse bepreisen, sind damit bereits nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB der gerichtlichen Inhaltskontrolle entzogen (vgl. hierzu bereits ausführlich unter C. II.).

Der klagende Verbraucherschutzverband hatte die ABB-Klausel in § 17 Abs. 2 der zugrunde liegenden ABB zur Bepreisung von besonderen, nicht zum regelmäßigen Vertragsablauf gehörenden Leistungen der Bausparkasse nicht abgemahnt und diese auch im gerichtlichen Verfahren zu keinem Zeitpunkt beanstandet. Der BGH hat in den Urteilsgründen ausdrücklich auf diese Klausel in § 17 Abs. 2 ABB Bezug genommen, ebenfalls ohne deren Wirksamkeit in Frage zu stellen. Im Gegenteil hat der BGH an mehreren Stellen betont, dass Bausparkassen ihre Sonderleistungen bepreisen können und hierfür klauselmäßig vereinbarte Entgelte nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht der gerichtlichen Inhaltskontrolle unterliegen. Auch für die Bepreisung von Sonderleistungen einer Bausparkasse gilt – wie für Hauptleistungsentgelte (vgl. BGH, Beschl. v. 24.04.2018 - XI ZR 335/17 unter 1.a) – der Grundsatz, dass Bausparkassen in der konkreten Ausgestaltung ihres Preisgefüges grundsätzlich frei sind und daher ihre Leistung entweder zu einem Pauschalpreis anbieten oder den Preis in mehrere Preisbestandteile oder Teilentgelte aufteilen können (vgl. oben unter C II.).

Darüber hinaus hat der BGH in der hier besprochenen Entscheidung vom 15.11.2022 erneut (vgl. bereits BGH, Urt. v. 08.11.2016 - XI ZR 552/15 Rn. 47, 49 und 55; BGH, Urt. v. 09.05.2017 - XI ZR 308/15 Rn. 43 und 51) seine Rechtsprechung zur Wirksamkeit der in der Praxis üblichen Klausel zur Abschlussgebühr (Rn. 38) bestätigt. Bereits mit Urteil vom 07.12.2010 (XI ZR 3/10) hatte der BGH die ABB-Klausel zur Abschlussgebühr als wirksam angesehen, da sich Neukunden mit Abschluss des Bausparvertrages an der Gemeinschaft der Bausparer beteiligen und sich damit in diesem Zeitpunkt auch der gemeinschaftlichen Bindung unterwerfen. Die Abschlussgebühr, mit der die Kosten der Akquisition von Neukunden gedeckt werden sollen, entspreche diesem kollektiven Systemzweck des Bausparens (BGH, Urt. v. 07.12.2010 - XI ZR 3/10 Rn. 49; vgl. zur Abschlussgebühr bereits die Ausführungen oben unter C). Ein wesentlicher Unterschied der vom BGH erneut als wirksam anerkannten Abschlussgebühr zu der in der hier besprochenen Entscheidung vom 15.11.2022 streitgegenständlichen ABB-Klausel zu einem Jahresentgelt für Maßnahmen der Kollektivsteuerung besteht darin, dass die durch die Kundenakquise erlangten Neueinlagen ihrerseits Teil der Zuteilungsmasse nach § 1 Abs. 6 BauSparkG sind (vgl. Rodi in: Staudinger, BGB, 2022, Anh zu §§ 305-310 Rn. F 1, Rn. F 24).

II. Besonderheiten bei Entgeltklauseln in den ABB von zertifizierten Altersvorsorge-Bausparverträgen

Das Besprechungsurteil betrifft nicht die jährlichen Entgelte, die in den ABB von nach § 5 AltZertG zertifizierten Altersvorsorge-Bausparverträgen i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 2 BauSparkG vereinbart werden. Solche ABB-Entgeltklauseln sind von der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB ausgenommen, da sie lediglich den Inhalt von § 2a Satz 1 AltZertG wiedergeben.

Denn nach § 2a Satz 1 Nr. 1 AltZertG darf ein Altersvorsorgevertrag neben „Abschluss- und Vertriebskosten“ insbesondere auch „Verwaltungskosten“ vorsehen. § 2a AltZertG beinhaltet eine materiell-rechtliche Grundlage für die wirksame Vereinbarung der in § 2a AltZertG abschließend aufgeführten Kostenarten. Dies ergibt sich aus einer wörtlichen, systematischen und historischen Auslegung der Norm:

Der Wortlaut des § 2a Satz 1 AltZertG enthält folgende Eingangsformulierung:

„Ein Altersvorsorgevertrag [...] darf ausschließlich die nachfolgend genannten Kostenarten vorsehen“.

Dieser Formulierung lassen sich drei Aussagen entnehmen: Erstens ergibt sich hieraus die positive Festlegung, dass die ausdrücklich genannten Entgelte wirksam vereinbart werden dürfen („darf [...] vorsehen“). Zweitens macht § 2a Satz 1 AltZertG jeweils konkrete Vorgaben zum Anlass und zur Art der verlangten Kosten. Drittens folgt hieraus die negative Aussage, dass andere als die in § 2a AltZertG genannten Kosten des Altersvorsorgevertrages nicht wirksam vereinbart werden dürfen („darf ausschließlich [...] vorsehen“).

Der Befund, dass § 2a Satz 1 AltZertG ein Recht zur Kostenerhebung einräumt, wird in systematischer Perspektive durch einen Vergleich mit § 675f Abs. 5 Satz 2 BGB i.V.m. den §§ 675l Abs. 1 Satz 3, 675o Abs. 1 Satz 4, 675p Abs. 4 Satz 3, 675y Abs. 5 Satz 5 BGB verstärkt. Diese Rechtsvorschriften räumen den Regelungsadressaten jeweils eine Befugnis zur Umlage von Kosten ein („darf […] vereinbaren“). Bemerkenswert ist nicht nur die sprachliche Ähnlichkeit mit der Eingangsformulierung in § 2a Satz 1 AltZertG („darf […] vorsehen“), sondern vor allem auch der Umstand, dass das Verb „vorsehen“ nach dem allgemeinen Sprachgebrauch im vorliegenden Kontext die Bedeutung von „festsetzen, festlegen, bestimmen“ hat (vgl. Duden, abgerufen unter www.duden.de/rechtschreibung/vorsehen) und damit begrifflich eine einseitige Gestaltungsmacht einräumt. Dieser Bedeutungsgehalt reicht damit sogar über die Kostenumlagebefugnis nach § 675f Abs. 5 Satz 2 BGB i.V.m. den §§ 675l Abs. 1 Satz 3, 675o Abs. 1 Satz 4, 675p Abs. 4 Satz 3, 675y Abs. 5 Satz 5 BGB hinaus, welche den Regelungsadressaten erlaubt, mit den Zahlungsdienstnutzern in den gesetzlich erlaubten Fällen eine Kostenumlage auf Basis des Konsensualprinzips zu implementieren.

Diese Auslegung, wonach § 2a Satz 1 AltZertG ein Recht der Anbieter von nach § 5 AltZertG zertifizierten Altersvorsorge-Verträgen zur Entgelterhebung regelt und damit eine materiell-rechtliche Grundlage für die wirksame Vereinbarung der dort genannten Kostenarten beinhaltet, wird auch durch die Gesetzesmaterialien unterstützt (vgl. Entwurf des Altersvorsorge-Verbesserungsgesetzes v. 16.10.2012, BT-Drs. 17/10818, S. 23): Demnach soll § 2a AltZertG sicherstellen, dass der Anleger eines Altersvorsorgevertrages auf der Grundlage dieser in § 2a AltZertG genannten und vom jeweiligen Anbieter – rechtlich wirksam festgelegten – Kosten den für ihn günstigsten Anbieter auswählen kann. Diese amtliche Begründung ist nicht dahingehend zu verstehen, dass allein die Schaffung von mehr Kostentransparenz im Fokus stand, ohne dass eine gesetzliche Aussage dazu getroffen werden sollte, welche Kosten wirksam in den jeweiligen Vertragsbedingungen vereinbart werden können. Bei einem solch engen Verständnis hätte die Bestimmung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 AltZertG, die eine Information des Anlegers über die nach § 2a AltZertG anfallenden Kosten eigens vorschreibt, im Ergebnis nur deklaratorischen Charakter und wäre damit überflüssig, weil sich die Transparenzanforderung hinsichtlich der anfallenden Kosten bereits aus § 2a AltZertG ergäbe. Ein solcher Auslegungsbefund wäre mit dem Interpretationsgrundsatz, wonach eine Vorschrift so auszulegen ist, dass sie einen eigenständigen Anwendungsbereich hat, bereits im Ausgangspunkt unvereinbar. Zur Vermeidung solcher gesetzessystematischen Friktionen ist § 2a Satz 1 AltZertG – in Übereinstimmung mit seinem Wortlaut und seiner Systematik – im Wesentlichen eine inhaltliche Bedeutung in dem Sinne beizumessen, dass er eine Befugnis zur Vereinbarung der dort näher definierten Entgelte enthält. Dies gilt umso mehr, als sich § 2a AltZertG ebenfalls von den Vorschriften des § 7a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 5 AltZertG, des § 7b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AltZertG sowie des § 7c AltZertG unterscheidet, die jeweils die Existenz von Kosten voraussetzen und lediglich Informationspflichten bzw. Anforderungen an eine Änderung der Kosten regeln.

Der gesetzgeberische Wille, § 2a AltZertG als eine materiell-rechtliche Grundlage für die wirksame Vereinbarung der dort genannten Kostenarten zu kodifizieren, wird auch an anderer Stelle aus den Gesetzesmaterialien deutlich, wenn es heißt (vgl. Regierungsentwurf des Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. 24.09.2018, BT-Drs. 19/4455, S. 76 – Kursivdruck diesseits): „Sinn und Zweck des § 2a AltZertG ist es, für die Vergleichbarkeit der einzelnen Produkte eine Kostenstruktur vorzugeben. Kosten in diesem Sinne sind solche, welche der Anbieter vertraglich festlegen […] kann.“

Gegen die Einordnung des § 2a AltZertG als eine materiell-rechtliche Grundlage für die wirksame Vereinbarung der genannten Entgelte lässt sich nicht einwenden, dass der BGH in ständiger Rechtsprechung die Erwähnung von Kosten eines Bausparvertrages in § 5 Abs. 3 Nr. 3 BauSparkG nicht als Argument für die Wirksamkeit der entsprechenden Entgeltklausel in den ABB heranzieht (vgl. BGH, Urt. v. 08.11.2016 - XI ZR 552/15 Rn. 43; BGH, Urt. v. 09.05.2017 - XI ZR 308/15 Rn. 43; Rn. 27 des Besprechungsurteils). Denn anders als § 5 Abs. 3 Nr. 3 BauSparkG, der lediglich ganz allgemein und ohne Einschränkung von der Möglichkeit einer Regelung zu näher nicht benannten „Kosten und Gebühren, die den Bausparern berechnet werden“ ausgeht, erstreckt sich § 2a AltZertG nicht auf Kosten bzw. Gebühren im Allgemeinen, sondern beschränkt sich auf einige wenige konkrete Kostenarten und regelt ausdrücklich das Recht des Anbieters von nach § 5 AltZertG zertifizierten Altersvorsorge-Verträgen zur vertraglichen Vereinbarung dieser abschließend genannten Kostenarten. Insoweit unterscheidet sich § 2a AltZertG auch maßgeblich von der Vorschrift des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 AltZertG, die als Zertifizierungskriterium lediglich vorsieht, dass Abschluss- und Vertriebskosten über die ersten fünf Vertragsjahre zu verteilen sind (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 07.12.2010 - XI ZR 3/10 Rn. 39).

Die formularmäßige Vereinbarung der in § 2a AltZertG genannten Abschluss- und Vertriebskosten, Verwaltungskosten sowie anlassbezogenen Kosten ist somit bei zertifizierten Altersvorsorge-Verträgen gesetzlich durch § 2a AltZertG gerechtfertigt. Sie weicht damit gerade nicht von Rechtsvorschriften ab und unterliegt daher nach § 307 Abs. 3 BGB bereits nicht der Inhaltskontrolle.

Im Übrigen würden die in § 2a Satz 1 AltZertG genannten Entgelte – ein Fehlen des § 2a AltZertG und damit die Kontrollfähigkeit der dort genannten Entgelte unterstellt – einer gerichtlichen Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB standhalten: Der BGH hat in Rn. 40 der Urteilsgründe zu seiner hier besprochenen Entscheidung vom 15.11.2022 deutlich gemacht, dass es bei der Angemessenheitsprüfung eine erhebliche Rolle spielen kann, wenn der Klauselverwender Leistungen über das geschuldete Maß hinaus erbringt, die nicht lediglich einen reflexartigen Nebeneffekt darstellen und die es ausnahmsweise erlauben, die Interessen des Einzelnen zurücktreten zu lassen. Hierzu hatte der BGH mit seinem Urteil vom 18.01.2022 (XI ZR 505/21) erkannt, dass eine in einen zinslosen Studiendarlehensvertrag einbezogene formularmäßige Bestimmung eines laufzeitunabhängigen „Verwaltungskosteneinbehalts“ zwar nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB der richterlichen Inhaltskontrolle unterliege. Diese Kosten benachteiligten den Darlehensnehmer auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung aber nicht unangemessen gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, wenn das Darlehen der Förderung bildungspolitischer Ziele oder der Unterstützung hilfsbedürftiger Studierender dient.

Den staatlich geförderten, privaten Altersvorsorgeverträgen liegt folgende Motivation des Gesetzgebers zugrunde (vgl. Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Altersvermögensgesetz vom 25.01.2001, BT-Drs. 14/5150, S. 38): „Zum Ausgleich des im Laufe der kommenden Jahre langsamer ansteigenden Versorgungsniveaus in der gesetzlichen Rentenversicherung ist der Aufbau einer zusätzlichen privaten Altersvorsorge in den meisten Fällen notwendig, um auch der künftigen Rentnergeneration den Lebensstandard im Alter gewährleisten zu können.“ Die Anbieter von solchen Altersvorsorgeverträgen übernehmen mithin Aufgaben, die sozialpolitischen Zielen dienen und mit denen die private Altersvorsorge neben der gesetzlichen Rentenversicherung und der betrieblichen Altersvorsorge als weitere Säule gestützt werden soll.

Resultierend aus diesem Charakter als staatlich anerkanntes Altersvorsorgeinstrument bedingen alle Altersvorsorge-Verträge – auch die nach § 5 AltZertG zertifizierten Altersvorsorge-Verträge der Bausparkassen – erhebliche zusätzliche Aufwände für die Anbieter.

Die Bausparer, die einen Altersvorsorge-Bausparvertrag abgeschlossen haben, können nicht nur wie bei einem „klassischen Bausparvertrag“ von der Option auf ein zinssicheres Bauspardarlehen, sondern aufgrund der Besonderheiten eines Altersvorsorge-Vertrages auch mindestens von staatlichen Grundzulagen nach § 84 Satz 1 EStG von jährlich 175 Euro (und ggf. auch von zusätzlichen Kinderzulagen nach § 85 EStG von jährlich bis zu 300 Euro je Kind) profitieren, die zusätzlich zu dem angesparten Guthaben auf dem Vertrag gutgeschrieben sowie von der Bausparkasse verzinst werden und in eine anerkannte Form der privaten Altersvorsorge münden.

III. Verjährung von Ansprüchen der Bausparer auf Erstattung der vom BGH als unwirksam angesehenen Klauseln

Bei bestehenden Bausparkonten können die Bausparer nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB im Hinblick auf die vom BGH als unwirksam angesehenen Bausparentgelte von der Bausparkasse eine Korrekturbuchung verlangen. Bei beendeten Bausparkonten besteht ein Erstattungsanspruch im Sinne eines Zahlungsanspruchs.

Da das Besprechungsurteil in einem Verbandsklageverfahren ergangen ist, hatte der BGH keinen Anlass, sich mit Fragen der Verjährung von bereicherungsrechtlichen Ansprüchen der Bausparer im Hinblick auf das streitgegenständliche Bausparentgelt zu befassen.

Im Folgenden soll auf diese Verjährungsfragen unter Berücksichtigung der vom BGH entwickelten Grundsätze des Hinausschiebens des Verjährungsbeginns aufgrund unzumutbarer Klageerhebung sowie der aktuellen Rechtsprechung des EuGH eingegangen werden.

1. Gesetzliche Konzeption des deutschen Verjährungsrechts und Folgen für die Verjährung von Bausparentgelten

Nach der Vorstellung des Gesetzgebers dient die Verjährung insbesondere bei vertraglichen Ansprüchen der Sicherheit des Rechtsverkehrs und dem Rechtsfrieden: Nach einer bestimmten Zeit soll die Ungewissheit über das Bestehen und die Durchsetzbarkeit eines Anspruchs beendet sein (vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts v. 14.05.2001, BT-Drs. 14/6040, S. 100). Der Schuldner soll darauf vertrauen dürfen, dass der Gläubiger auf seine Forderung nicht mehr zurückgreifen werde (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses v. 09.10.2011 zum Gesetzesentwurf zur Modernisierung des Schuldrechts, BT-Drs. 14/7052, S. 178). Durch die gesetzlichen Verjährungsregeln werde ein gerechter Interessenausgleich zwischen Gläubiger und Schuldner geschaffen, wobei der Gläubiger eine „faire Chance“ erhalte, seinen Anspruch geltend zu machen. Hierzu werde ihm hinreichend Gelegenheit gegeben, das Bestehen seiner Forderung zu erkennen, ihre Berechtigung zu prüfen, Beweismittel zusammenzutragen und die gerichtliche Durchsetzung der Forderung ins Werk zu setzen (BT-Drs. 14/7052, S. 177).

Dabei sollen mit den gesetzlichen Verjährungsvorschriften zum Zwecke der Rechtssicherheit einfache und klare Regelungen geschaffen werden: Die Parteien sollen von vornherein wissen, wie lange sie gegeneinander Ansprüche geltend machen können (BT-Drs. 14/6040, S. 100), und auch die Gerichte sollen aufgrund von praktikablen Regelungen verjährte von unverjährten Forderungen einfach unterscheiden können (BT-Drs. 14/7052, S. 178).

Das deutsche Recht unterscheidet, soweit für Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung relevant, zwischen der absoluten zehnjährigen Verjährung und der kenntnisabhängigen dreijährigen Regelverjährung:

§ 199 Abs. 4 BGB sieht vor, dass Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis taggenau in zehn Jahren von ihrer Entstehung an verjähren. Der Anspruch auf Erstattung etwaiger unzulässiger jährlicher Bausparentgelte entsteht im Zeitpunkt der Geltendmachung durch die Bausparkasse, also bei Belastung eines Entgelts vom Bausparkonto. Ein Anspruch auf Erstattung eines belasteten Entgelts ist somit spätestens nach Ablauf von zehn Jahren nach der Belastungsbuchung verjährt.

Nach § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre. Nach § 199 Abs. 1 BGB beginnt diese Verjährungsfrist mit Schluss des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Da dem Bausparer aufgrund der in den ABB vereinbarten Entgeltklauseln (vgl. § 5 Abs. 3 Nr. 3 BauSparkG) bereits bei Abschluss des Bausparvertrages bekannt ist, dass und auch zu welchem Zeitpunkt ein jährliches Entgelt belastet wird, sind auch die subjektiven Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB für den Verjährungsbeginn bereits mit Belastung des Entgelts erfüllt, ohne dass es auf den Zeitpunkt der Übersendung eines Kontoauszugs durch die Bausparkasse ankommt. Daher ist für den Beginn der Regelverjährung der Zeitpunkt der jeweiligen Belastungsbuchung entscheidend, so dass die dreijährige Verjährungsfrist somit mit Ende des Kalenderjahres dieser Belastungsbuchung zu laufen beginnt.

2. Kein Hinausschieben des Verjährungsbeginns aufgrund der Grundsätze der Unzumutbarkeit der Klageerhebung

Der BGH vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass die Rechtsunkenntnis des Gläubigers ausnahmsweise den Verjährungsbeginn der kenntnisabhängigen Verjährungsfrist hinausschieben kann, wenn im Zeitpunkt der Anspruchsentstehung eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliegt, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag. In diesen Fällen fehle es an der Zumutbarkeit der Klageerhebung als übergreifende Voraussetzung für den Verjährungsbeginn (ständige BGH-Rechtsprechung, vgl. zuletzt BGH, Urt. v. 17.11.2021 - IV ZR 113/20 Rn. 43; BGH, Urt. v. 08.08.2022 - KZR 111/18 Rn. 73).

Der XI. Zivilsenat hat eine solche faktische Verlängerung der Verjährungsfrist aufgrund entgegenstehender höchstrichterlicher Rechtsprechung etwa für die Rückforderung der Kreditbearbeitungsgebühr bei Verbraucherdarlehen angenommen, indem er entschieden hat, dass die dreijährige Verjährungsfrist frühestens in 2011 zu laufen beginnen konnte. Zur Begründung wurde auf ältere BGH-Entscheidungen hingewiesen, die eine solche Kreditbearbeitungsgebühr in banküblicher Höhe gebilligt hatten. Die aufgrund dieser entgegenstehenden BGH-Rechtsprechung entstandene Unzumutbarkeit der Klageerhebung habe in 2011 geendet, da sich zu dieser Zeit eine klare Tendenz in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte herausgebildet habe, die in allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarte Bearbeitungsgebühren für Verbraucherdarlehen als unwirksam erachtete (BGH, Urt. v. 28.10.2014 - XI ZR 348/13 Rn. 59, 67).

Zu der Frage, ob jährliche Entgelte in der Sparphase eines Bausparvertrages wirksam vereinbart werden können, gab es hingegen zu keinem Zeitpunkt eine entgegenstehende Entscheidung des BGH. Im Gegenteil: Der BGH hatte mit Urteil vom 09.05.2017 (XI ZR 308/15) die Berufungsentscheidung des OLG Karlsruhe vom 16.06.2015 (17 U 5/14) aufgehoben und eine ABB-Klausel zu einer jährlichen Kontogebühr in den ABB als unwirksam erachtet. Auf diese Entscheidung hat der BGH in den Urteilsgründen seiner hier besprochenen Entscheidung vom 15.11.2022 wiederholt Bezug genommen und diese für die Sparphase eines Bausparvertrages als übertragbar erachtet. Mit der Besprechungsentscheidung führt der BGH somit seine frühere Entgelt-Rechtsprechung fort (vgl. auch Grüneberg, WM 2023, 405, 407; Diehm, EWiR 2023, 1, 2; Herresthal, ZIP 2023, 333).

Auch die – soweit ersichtlich – einhellige Rechtsprechung der Instanzgerichte hat das BGH-Urteil vom 09.05.2017 zur Unwirksamkeit einer ABB-Klausel zur Kontogebühr für die bauspartechnische Verwaltung, Kollektivsteuerung und Führung der Zuteilungsmasse in der Darlehensphase auf die ebenfalls als Preisnebenabreden qualifizierten ABB-Klauseln zu jährlichen Entgelten in der Sparphase übertragen und entsprechende Klauseln als unwirksam erachtet (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 27.03.2019 - 3 U 3/19; OLG Koblenz, Urt. v. 05.12.2019 - 2 U 1/19; OLG Celle, Urt. v. 17.11.2021 - 3 U 39/21; sowie die jeweiligen erstinstanzlichen Urteile).

Allein die Tatsache, dass im juristischen Schrifttum ein Meinungsstreit zu der Frage herrschte, ob die für die Darlehensphase eines Bausparvertrages ergangene Entscheidung des BGH vom 09.05.2017 auch auf die Sparphase des Bausparvertrages übertragbar ist, vermag ein Hinausschieben des Verjährungsbeginns aufgrund einer Unzumutbarkeit einer Klageerhebung nicht zu begründen. Denn eine Rechtslage ist nicht schon dann unsicher und zweifelhaft, wenn eine Rechtsfrage umstritten und noch nicht höchstrichterlich entschieden ist (BGH, Urt. v. 13.12.2022 - II ZR 14/21 Rn. 155). Vielmehr ist eine Klage auch bei rechtlichen Unsicherheiten als zumutbar anzusehen, da es gerade nicht erforderlich ist, dass die Rechtsverfolgung für den Kläger risikolos möglich ist (vgl. BGH, Urt. v. 17.12.2020 - VI ZR 739/20 Rn. 11). Gerade für unklare Fälle sind der Instanzenzug und ggf. die Klärung durch das zuständige oberste Gericht vorgesehen (vgl. BGH, Urt. v. 08.08.2022 - KZR 111/18 Rn. 74).

Im Zusammenhang mit der aufgrund von Sinn und Zweck der Verjährungsregeln (vgl. dazu unter 1.) gebotenen restriktiven Anwendung der Grundsätze von der Unzumutbarkeit der Klageerhebung soll an folgende Rechtsprechung des XI. Zivilsenats erinnert werden: Der Senat hatte mit Urteilen vom 04.07.2017 (XI ZR 562/15 Rn. 22 ff.) und vom 08.11.2016 (XI ZR 552/15 Rn. 41 ff.) entschieden, dass die BGH-Rechtsprechung zur Unwirksamkeit eines Kreditbearbeitungsentgelts bei Verbraucherdarlehen auf die Kreditbearbeitungsgebühr bei Unternehmerdarlehen sowie auf die Darlehensgebühr bei Bauspardarlehen übertragbar ist. Die wohl überwiegende Auffassung im Schrifttum hatte hierzu bis zur höchstrichterlichen Klärung eine andere Auffassung vertreten. Zur Frage der Verjährung hat der BGH zu Recht entschieden, dass die klageweise Geltendmachung von Ansprüchen auf Erstattung der Kreditbearbeitungsentgelte bei Unternehmerdarlehen bzw. auf Erstattung der Darlehensgebühren bei Bauspardarlehen nicht erst ab der jeweiligen, speziell hierzu ergangenen BGH-Entscheidung zumutbar wäre. Denn ein rechtskundiger Dritter habe bereits im Jahr 2011, als sich eine gefestigte Auffassung der Oberlandesgerichte zur Unwirksamkeit von Bearbeitungsentgelten bei Verbraucherdarlehensverträgen gebildet hatte, damit rechnen können, dass davon auch Entgeltklauseln erfasst werden, die in Unternehmerdarlehen oder in Bauspardarlehen einbezogen worden sind (vgl. BGH, Urt. v. 04.07.2017 - XI ZR 562/15 Rn. 94 bis Rn. 100; BGH, Urt. v. 19.03.2019 - XI ZR 95/17 Rn. 34 f.; Freise, jurisPR-BKR 1/2018 Anm. 4; Rodi in: Staudinger, BGB, 2022, Anh. zu §§ 305-310 Rn. F 1, Rn. F 25).

Entsprechendes gilt auch hier: Wollte man die Rechtsprechung zur Unzumutbarkeit der Klageerhebung überhaupt auf die Erstattung von jährlichen Bausparentgelten in der Sparphase des Bausparvertrages anwenden (a.A: Edelmann, BB 2023, 332, 339), wären den Bausparern entsprechende Klagen jedenfalls ab der BGH-Entscheidung vom 09.05.2017 zur Kontogebühr in der Darlehensphase zumutbar gewesen, so dass die dreijährige Verjährungsfrist nach den §§ 195, 199 BGB für die Ansprüche aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB auf Rückzahlung der bis einschließlich in 2017 belasteten jährlichen Entgelte jedenfalls spätestens ab Ende 2017 zu laufen begonnen hätte.

3. Kein Hinausschieben des Verjährungsbeginns aufgrund der EuGH-Rechtsprechung

Der vzbv vertritt die Auffassung, dass Verbraucher erst mit Bekanntwerden der hier besprochenen BGH-Entscheidung vom 15.11.2022 hätten erkennen können, dass sie ein Recht auf Erstattung haben. Einem Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist vor Ende des Jahres 2022 stehe die Rechtsprechung des EuGH entgegen, wonach eine Forderung auf Erstattung aufgrund missbräuchlicher Klauseln gezahlter Entgelte nicht verjährt sein dürfe, bevor Verbraucher erkennen konnten, dass sie ein Recht auf Erstattung haben (vgl. vzbv, „Bausparkassen-Entgelte unzulässig: So fordern Sie Kontogebühren zurück“, Stand: 11.01.2023, https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/geld-versicherungen/bau-und-immobilienfinanzierung/bausparkassenentgelte-unzulaessig-so-fordern-sie-kontogebuehren-zurueck-10855#:
:text=Der%20Europ%C3%A4ische%20Gerichtshof%20urteilte%20bereits,Dezember%202022%20beginnen, zuletzt abgerufen am 10.03.2023).

An der im dortigen Beitrag zunächst vertretenen Auffassung, dass aufgrund der EuGH-Rechtsprechung „im Rahmen von Verträgen mit mehr als zehn Jahren Laufzeit nicht einmal die Verjährungshöchstfrist von 10 Jahren“ gelte, hält der vzbv offenbar nicht mehr fest, verweist aber darauf, dass in der „Fachliteratur“ vertreten werde, dass die zehnjährige kenntnisunabhängige Verjährungsfrist mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz unvereinbar sei.

Im Folgenden sollen zunächst die aktuellen Urteile des EuGH zur Verjährung näher betrachtet werden, bevor analysiert wird, inwieweit diese Urteile für den Fall etwaiger Ansprüche der Bausparer auf Erstattung von jährlichen Entgelten in der Sparphase Auswirkungen auf das deutsche Verjährungsrecht haben.

a) EuGH, Urt. v. 10.06.2021 - C-776/19 bis C-782/19 und EuGH, Urt. v. 08.09.2022 - C-80/21 bis C-82/21

Der EuGH hatte sich im Anwendungsbereich der Klauselrichtlinie (Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 05.04.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen) zuletzt mit folgenden beiden Entscheidungen zur Verjährung befasst, die jeweils AGB-Klauseln in Fremdwährungsdarlehen betrafen:

Mit Urteil vom 10.06.2021 (C-776/19 bis C-782/19) befasste sich der EuGH mit der Verjährungsregelung im Code civil, wonach Ansprüche nach fünf Jahren ab dem Tag verjähren, an dem der Inhaber eines Rechts Kenntnis von den Umständen, die ihm die Ausübung dieses Rechts erlauben, erlangte oder hätte erlangen müssen. Die französischen Gerichte legten diese Regelung dahingehend aus, dass die Verjährung in jedem Fall mit Annahme des Darlehensangebots zu laufen begann. Der EuGH bestätigte seine Rechtsprechung, wonach Verjährungsfristen von drei bis fünf Jahren grundsätzlich ausreichend seien, um dem Verbraucher zu ermöglichen, einen wirksamen Rechtsbehelf vorzubereiten und einzulegen. Jedoch sei es mit dem Effektivitätsgrundsatz unvereinbar, dass eine Verjährungsfrist stets ab Annahme des Darlehensangebots zu laufen beginnt, da diese Frist abgelaufen sein könnte, bevor der Verbraucher die Möglichkeit hatte, von der Missbräuchlichkeit einer Klausel dieses Vertrags Kenntnis zu nehmen.

Das Urteil des EuGH vom 08.09.2022 (C-80/21 bis C-82/21) betraf eine Verjährungsregelung des polnischen Zivilgesetzbuchs, wonach Ansprüche nach zehn Jahren ab Fälligkeit verjähren. Der EuGH stellte erneut fest, dass eine für Ansprüche eines Verbrauchers aufgrund einer missbräuchlichen AGB-Klausel geltende Verjährungsfrist nur dann mit der Klauselrichtlinie vereinbar sei, wenn der Verbraucher die Möglichkeit habe, von seinen Rechten Kenntnis zu nehmen, bevor diese Frist zu laufen beginnt oder abgelaufen ist. Die Mitgliedstaaten seien verpflichtet, die Effektivität der Rechte sicherzustellen, die dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsen, insbesondere für die Rechte aus der Klauselrichtlinie das Erfordernis eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes, das auch in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) verankert ist. Wenn der Klage eines Verbrauchers auf Erstattung einer aufgrund einer missbräuchlichen AGB-Klausel erbrachten Zahlung eine zehnjährige Verjährungsfrist entgegengehalten wird, die mit dem Zeitpunkt jeder von ihm erbrachten Leistung in Lauf gesetzt wird, werde dem Verbraucher kein wirksamer Schutz gewährleistet, wenn der Vertrag einen 30-jährigen Rückzahlungszeitraum vorsieht, Aufgrund der 30-jährigen Darlehenslaufzeit könne daher zumindest für einen Teil der vorgenommenen Zahlungen nicht ausgeschlossen werden, dass die Verjährung eintritt, bevor der Vertrag beendet ist. Somit sei eine solche kenntnisunabhängige Verjährungsfrist geeignet, Verbrauchern systematisch die Möglichkeit zu nehmen, die Erstattung von Zahlungen zu verlangen, die aufgrund von mit der Klauselrichtlinie unvereinbaren Klauseln geleistet wurden.

b) Kein Hinausschieben des Verjährungsbeginns aufgrund richtlinienkonformer Auslegung

Die oben genannten Urteile des EuGH führen nicht dazu, dass der Verjährungsbeginn bei Ansprüchen der Bausparer auf Erstattung von jährlichen Bausparentgelten aufgrund richtlinienkonformer Auslegung der deutschen Verjährungsvorschriften hinausgeschoben wird.

Art. 4 Abs. 2 der Klauselrichtlinie stellt klar, dass die Beurteilung der Missbräuchlichkeit der Klauseln weder den Hauptgegenstand des Vertrages noch die Angemessenheit zwischen dem Preis bzw. dem Entgelt und den Dienstleistungen betrifft, die die Gegenleistung darstellen, sofern diese Klauseln klar und verständlich abgefasst sind. In Erwägungsgrund 19 der Richtlinie wird ergänzend hierzu klargestellt, dass auch Klauseln, die das Preis-Leistungs-Verhältnis einer Dienstleistung beschreiben, nicht als missbräuchlich beurteilt werden können, wenn die entsprechenden Klauseln transparent sind. Während die Missbräuchlichkeit anderer Aspekte im Zusammenhang mit dem Preis bzw. dem Entgelt, beispielsweise der Mechanismus einseitiger Preisänderungen, stets der Missbrauchskontrolle unterliegt, gilt dies nach Art. 4 Abs. 2 der Klauselrichtlinie nicht für die Frage, ob die Höhe des Preises, wie sie vertraglich vereinbart wurde, angemessen ist (vgl. Leitlinien der Europäischen Kommission zur Auslegung und Anwendung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, 2019/C 323/04, S. 15 f.).

Auch wenn der deutsche Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass sowohl der Hauptgegenstand des Vertrages als auch das Preis-Leistungs-Verhältnis, die aus der Missbrauchskontrolle ausgenommen sind, auch nicht der Angemessenheitsbeurteilung unterliegen (vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des AGB-Gesetzes v. 20.10.1995 - BT-Drs. 13/2713, S. 4 f.), ist die Rechtsprechung mit der Annahme einer Kontrollfähigkeit der sog. Preisnebenabreden darüber hinausgegangen (Rodi in: Staudinger, BGB, 2022, Anh zu §§ 305-310 Rn. F 1, Rn. F 11 und Rn. F 13a; Piekenbrock/Rodi, WuB 2023, 60, 63; vgl. hierzu bereits: Graf von Westphalen, EWS 1993, 161). Auf eine als Preisnebenabrede qualifizierte Entgeltklausel sind nach den Vorgaben der Richtlinie weder die Missbrauchskontrolle des Art. 3 Abs. 1 der Klauselrichtlinie noch die Rechtsfolgenbestimmungen der Art. 6 Abs. 1 und 7 Abs. 1 der Richtlinie anzuwenden. Soweit eine Entgeltklausel von den deutschen Gerichten trotz der Ausnahme in Art. 4 Abs. 2 der Klauselrichtlinie als der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB unterliegend angesehen wird, geht die Rechtsprechung somit über den Anwendungsbereich der Klauselrichtlinie hinaus. Wie nationale Vorschriften auszulegen sind, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, fällt in die ausschließliche Zuständigkeit der nationalen Gerichte (vgl. EuGH, Urt. v. 26.03.2020 - C-66/19 Rn. 31; BGH, Beschl. v. 31.03.2020 - XI ZR 299/19).

Selbst eine Anwendbarkeit der Klauselrichtlinie unterstellt, könnte die o.g. Rechtsprechung des EuGH nicht dazu führen, dass vorliegend die zehnjährige, kenntnisunabhängige Verjährungsfrist nicht angewendet wird (so auch Piekenbrock/Rodi, WuB 2023, 60, 62). Denn die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung findet insofern ihre Grenzen in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und insbesondere dem Grundsatz der Rechtssicherheit, als sie nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des innerstaatlichen Rechts dienen kann (EuGH, Urt. v. 05.03.2020 - C-679/18 Rn. 45). Die Auslegung des nationalen Rechts darf nicht dazu führen, dass einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Norm ein entgegengesetzter Sinn gegeben oder der normative Gehalt der Norm grundlegend neu bestimmt wird. Die Pflicht zur Verwirklichung des Richtlinienziels im Auslegungswege findet ihre Grenzen somit an dem nach der innerstaatlichen Rechtstradition methodisch Erlaubten (BGH, Urt. v. 03.11.2022 - VII ZR 724/21 Rn. 38). Bei der zehnjährigen Verjährungsfrist, die nach dem klaren Wortlaut nicht an Kenntniserlangung oder grob fahrlässige Unkenntnis anknüpft, kommt eine richtlinienkonforme einschränkende Auslegung nicht in Betracht, weil insoweit kein Auslegungsspielraum verbleibt. Denn die Verjährung nach § 199 Abs. 4 BGB sollte aus Gründen der Rechtssicherheit gerade unabhängig von einem Kenntnismerkmal eintreten und so verhindern, dass die Verjährung auf nicht absehbare Zeit hinausgeschoben werden kann (vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts v. 14.05.2001, BT-Drs. 14/6040, S. 108).

Im Übrigen hat der EuGH mit dem Urteil vom 08.09.2022 (C-80/21 bis C-82/21) maßgeblich auf die deutlich über die Verjährungsfrist von zehn Jahren hinaus gehende Vertragslaufzeit von im Streitfall 30 Jahren abgestellt und betont, dass dem Effektivitätsgrundsatz nicht genügt wird, wenn ein Verbraucher noch über Jahre hinweg Zahlungen leisten müsste, nachdem erste Restitutionsansprüche bereits verjährt sind (vgl. Hettenbach, EWiR 2022, 641, 642 f.; Ulmer, WuB 2022, 501, 504). Dieses Risiko passt nicht für Entgelte in der Sparphase eines Bausparvertrages, da ein Bausparvertrag bei regelmäßiger Besparung regelmäßig nach weniger als zehn Jahren zugeteilt werden kann und mit der Auszahlung des Bauspardarlehens die Sparphase beendet wird.

Im Hinblick auf den Beginn der dreijährigen Regelverjährung, die nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB an die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen der anspruchsbegründenden Tatsachen anknüpft, besteht bereits kein Anlass für eine richtlinienkonforme Auslegung. Denn die ständige deutsche Rechtsprechung versteht hier die Zumutbarkeit der Klage bereits nach nationalem Recht als zusätzliche, übergreifende Voraussetzung für den Verjährungsbeginn, so dass die Regelverjährung bei einer unsicheren und zweifelhaften Rechtslage, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag, nicht zu laufen beginnt (vgl. hierzu oben unter 2.).

Dieses Hinausschieben des Verjährungsbeginns bei unklarer und zweifelhafter Rechtslage genügt bereits den vom EuGH aus dem Effektivitätsgrundsatz aufgestellten Anforderungen an den Verjährungsbeginn (so auch Edelmann/Schultheiss/Weil, BB 2022, 1548, 1549 f.; Herresthal, ZHR 2022, 373, 405 f.). Denn der EuGH verlangt für den Verjährungsbeginn gerade keine tatsächliche Rechtskenntnis des Verbrauchers von der Missbräuchlichkeit einer AGB-Klausel (a.A. wohl Graf von Westphalen, NJW 2023, 264, 268), sondern fordert nur, dass der Verbraucher vor Ablauf der Verjährungsfrist die Möglichkeit hatte, von der Missbräuchlichkeit einer Klausel dieses Vertrags Kenntnis zu nehmen (vgl. EuGH, Urt. v. 10.06.2021 - C-776/19 bis C-782/19 Rn. 46 f.; EuGH, Urt. v. 08.09.2022 - C-80/21 bis C-82/21 Rn. 98). Das nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderliche Kennenmüssen der anspruchsbegründenden Voraussetzungen und die von der Rechtsprechung als Voraussetzung für den Verjährungsbeginn statuierte Zumutbarkeit der Klageerhebung gewährleisten, dass der Gläubiger vor Eintritt der Verjährung eine „faire Chance“ hat, seinen Anspruch geltend zu machen (BGH, Urt. v. 28.10.2014 - XI ZR 348/13 Rn. 52; vgl. bereits Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses v. 09.10.2011 zum Gesetzesentwurf zur Modernisierung des Schuldrechts, BT-Drs. 14/7052, S. 177). Diese Zumutbarkeit der Klageerhebung als von den deutschen Gerichten anerkannte übergreifende Voraussetzung für den Verjährungsbeginn bildet einen maßgeblichen Unterschied zu der vom EuGH mit dem Urteil vom 10.06.2021 überprüften französischen Verjährungsregelung, die durch die Gerichte im Sinne eines Verjährungsbeginns zum Zeitpunkt der Annahme des Darlehensangebots ausgelegt wurde (vgl. EuGH, Urt. v. 10.06.2021 - C-776/19 bis C-782/19 Rn. 44 und 48).

Würde man hingegen die EuGH-Rechtsprechung entgegen den Aussagen in den Urteilsgründen dahingehend verstehen wollen, dass für einen Verjährungsbeginn eine positive (Rechts-)Kenntnis der Missbräuchlichkeit einer AGB-Klausel durch den nicht rechtskundigen Verbraucher selbst erforderlich ist, könnte der Verbraucher durch die fehlende Einholung von Rechtsrat den Verjährungsbeginn beliebig lang hinauszögern. Ein solches, auf die subjektive Kenntnis des jeweiligen Gläubigers abstellendes Verständnis widerspräche sowohl dem Wortlaut des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB als auch dem Sinn und Zweck dieser Regelung und dem Willen des Gesetzgebers, wonach aufgrund der Verjährung nach einem gewissen Zeitablauf Rechtssicherheit und Rechtsfrieden eintreten sollten (vgl. hierzu oben unter 1, sowie Piekenbrock/Rodi, WuB 2023, 60, 62 f.).

Sind einer richtlinienkonformen Auslegung im Hinblick auf die Klauselrichtlinie nach alledem Grenzen gesetzt, führt auch das vom EuGH zitierte Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Art. 47 GRCh zu keiner Verschiebung des Verjährungsbeginns im nationalen Recht. Zum einen unterliegt die EU-grundrechtskonforme Auslegung den gleichen Grenzen wie eine richtlinienkonforme Auslegung (Jarass in: Jarass, EU-GRCh, 4. Aufl. 2021, Einleitung Rn. 69). Zum anderen darf der EU-Normgeber gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbare Verpflichtungen für EU-Rechtssubjekte nur mittels einer Verordnung begründen. Nur ein solches Verständnis wird auch der Vorgabe aus Art. 51 Abs. 2 GRCh gerecht, demzufolge die GRCh weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Gemeinschaft und für die Union begründen darf (EuGH, Beschl. v. 03.07.2014 - C-92/14 Rn. 45).


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