juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 6. Zivilsenat, Urteil vom 29.07.2025 - VI ZR 426/24
Autor:Dr. iur. Herbert Geisler, RA BGH
Erscheinungsdatum:17.10.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 823 BGB, Art 1 GG, Art 2 GG, Art 5 GG, EUV 2016/679
Fundstelle:jurisPR-BGHZivilR 21/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Markus Würdinger, Universität Passau
Zitiervorschlag:Geisler, jurisPR-BGHZivilR 21/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Nennung des Namens eines Bundestagsabgeordneten in Demonstrationsaufruf



Leitsätze

1. Einer auf Unterlassung einer Äußerung gerichteten Klage ist grundsätzlich bereits dann stattzugeben, wenn die Äußerung einen mehrdeutigen Aussagegehalt aufweist und in einer der nicht fernliegenden Deutungsvarianten das allgemeine Persönlichkeitsrecht des von ihr Betroffenen verletzt. Demgegenüber ist bei der Prüfung zivilrechtlicher Sanktionen - wozu auch der Anspruch auf Geldentschädigung gehört - der rechtlichen Beurteilung diejenige Deutungsvariante zu Grunde zu legen, die dem in Anspruch Genommenen günstiger ist und den Betroffenen weniger beeinträchtigt.
2. Ein sich aus der Verletzung der unionsrechtlichen Bestimmungen zum Datenschutz ergebender Anspruch aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO schließt Schadensersatzforderungen wegen Verstoßes gegen nationale Vorschriften nicht aus; ein Anspruch auf Ersatz materiellen oder immateriellen Schadens kann sich auch im Falle der uneingeschränkten Geltung der Datenschutz-Grundverordnung unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ggf. zusätzlich aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG ergeben.
3. Unterfällt ein Datenverarbeitungsvorgang dem Medienprivileg (hier: Art. 85 Abs. 2 DSGVO i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 4 MStV), muss er sich nicht an Art. 6 und Art. 7 DSGVO messen lassen mit der Folge, dass ein auf die Verletzung dieser Bestimmungen gestützter Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO nicht in Betracht kommt.
4. Der Begriff „Unternehmen der Presse“ i.S.v. § 23 Abs. 1 Satz 4 MStV ist verfassungs- und europarechtskonform dahin gehend auszulegen, dass er alle Anbieter von Telemedien zu journalistischen Zwecken erfasst. Hierunter können auch politische Parteien fallen, selbst wenn sie nicht über eine organisatorisch selbstständige, für Publikationen zuständige Abteilung verfügen (Abgrenzung zu BVerwG, Beschl. v. 29.10.2015 - 1 B 32/15 - K&R 2016, 66).
5. Die Formulierung „zu journalistischen Zwecken“ i.S.v. § 23 Abs. 1 Satz 4 MStV ist weit und in Anlehnung an die unionsrechtliche Terminologie in Art. 85 DSGVO auszulegen.
6. Zum Anspruch auf Zahlung einer fiktiven Lizenzgebühr wegen unbefugter Nutzung des Namens einer Person zu kommerziellen Zwecken.



A.
Problemstellung
Die Entscheidung des BGH betrifft die Abgrenzung zwischen Äußerungsrecht, Datenschutzrecht und allgemeinem Persönlichkeitsrecht. Das Hauptproblem ist, ob ein Bundestagsabgeordneter gegen eine rechtsextreme Kleinstpartei eine Geldentschädigung oder hilfsweise eine fiktive Lizenzgebühr verlangen kann, nachdem diese seinen Namen in einem Telegram-Beitrag zur Mobilisierung politischer Demonstrationen verwendet hatte. Damit zusammenhängend sind grundlegende Probleme der Sinnermittlung mehrdeutiger Äußerungen, der Reichweite des Medienprivilegs nach Art. 85 Abs. 2 DSGVO i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 4 MStV sowie der Abgrenzung ideeller und vermögensrechtlicher Bestandteile des Persönlichkeitsrechts. Zugleich geht es um die Frage, ob politische Parteien in ihrer Öffentlichkeitsarbeit denselben datenschutzrechtlichen Schutz genießen wie klassische Presseorgane.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger, Bundestagsabgeordneter der Partei Die Linke, meldete im September 2022 eine Demonstration in Leipzig unter dem Motto „Preise runter – Energie und Essen müssen bezahlbar sein“ an. Die Beklagte, eine vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestufte Kleinstpartei, organisierte zeitgleich eine eigene Versammlung am selben Ort. Über ihren Telegram-Kanal veröffentlichte sie einen Beitrag mit der Überschrift „GETRENNT MARSCHIEREN, GEMEINSAM SCHLAGEN!“, in dem der Kläger namentlich genannt und in einem Kontext dargestellt wurde, der auf eine Zusammenarbeit mit rechtsextremen Kräften hindeutete.
Der Kläger sah hierin eine schwerwiegende Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts und verlangte eine Geldentschädigung von 10.000 Euro, hilfsweise eine fiktive Lizenzgebühr für die unbefugte Namensnutzung. Zudem stützte er sich auf Art. 82 DSGVO.
Während das Landgericht der Klage stattgab, hob das Berufungsgericht die Entscheidung auf und wies die Klage ab. Es bejahte zwar eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts, sah aber die Erheblichkeitsschwelle für eine Geldentschädigung als nicht überschritten an und lehnte Ansprüche aus Lizenzanalogie sowie aus der DSGVO ab.
Der BGH hat das Berufungsurteil bestätigt.
Der streitige Beitrag sei mehrdeutig. Für Schadensersatzansprüche sei stets die für den Äußernden nicht entfernt liegende günstigste Deutungsvariante zugrunde zu legen (vgl. BGH, Urt. v. 04.06.2019 - VI ZR 440/18 Rn. 11 ff.). In dieser Auslegung fehle es an einer schwerwiegenden Verletzung der ideellen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts. Art. 82 DSGVO sei im konkreten Fall nicht anwendbar, da die Veröffentlichung dem Medienprivileg unterfalle. Nach der Rechtsprechung des EuGH zur Vorgängerregelung in Art. 9 der Datenschutz-Richtlinie gelten die vorgesehenen Befreiungen und Ausnahmen nicht nur für Medienunternehmen, sondern für jeden, der journalistisch tätig ist (vgl. EuGH, Urt. v. 14.02.2019 - C-345/17 „Buivids“). Auch ein Anspruch auf Zahlung einer fiktiven Lizenzgebühr bestehe nicht, da die Namensnennung nicht zu kommerziellen, sondern zu politischen Zwecken erfolgt sei (vgl. BGH, Urt. v. 20.03.2012 - VI ZR 123/11 Rn. 24).


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung fügt sich in die bisherige Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH, Urt. v. 25.11.2003 - VI ZR 226/02 Rn. 15) zur Sinnermittlung mehrdeutiger Äußerungen ein. Schon früher hatte der Senat klargestellt, dass bei Unterlassungsansprüchen eine nicht fernliegende Deutungsvariante genüge, während bei Geldentschädigungs- oder Schadensersatzansprüchen stets die günstigste Auslegung zugrunde zu legen sei. Damit wird die bisherige Rechtsprechung zur Sinndeutung einer Äußerung als unabdingbare Voraussetzung für die richtige rechtliche Würdigung ihres Aussagegehalts fortgeführt (vgl. BGH, Urt. v. 04.06.2019 - VI ZR 440/18 Rn. 19, und BGH, Urt. v. 10.12.2024 - VI ZR 230/23 Rn. 17).
Besonders hervorzuheben ist die Klärung des Verhältnisses zwischen nationalem Persönlichkeitsrechtsschutz und der DSGVO. Während das Berufungsgericht Art. 82 DSGVO für politische Kommunikation pauschal ausgeschlossen hatte, betont der BGH, dass die Norm nicht generell unanwendbar ist, sondern ihre Reichweite dort endet, wo das Medienprivileg eingreift. Damit grenzt er sich von restriktiveren Ansichten ab und betont die parallele Anspruchskonkurrenz der Vorschriften der DSGVO zu § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. EuGH, Urt. v. 04.05.2023 - C-300/21 Rn. 41 „Österreichische Post AG“).
Von erheblicher Bedeutung ist auch die Abgrenzung zur Rechtsprechung des BVerwG, das 2015 noch eine organisatorische Selbstständigkeit für die Inanspruchnahme des Medienprivilegs gefordert hatte (BVerwG, Beschl. v. 29.10.2015 - 1 B 32/15 Rn. 5). Der BGH stellt klar, dass diese Einschränkung nach Anpassung des Medienstaatsvertrags an die DSGVO nicht mehr gilt.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Für die Praxis politischer Kommunikation hat das Urteil weitreichende Konsequenzen. Parteien können sich künftig ausdrücklich auf das Medienprivileg berufen, wenn sie personenbezogene Daten im Rahmen von Social-Media-Kampagnen zu journalistischen Zwecken verwenden. Dies stärkt die Meinungs- und Medienfreiheit, beschränkt aber zugleich die Möglichkeit Betroffener, datenschutzrechtliche Schadensersatzansprüche geltend zu machen.
Für den Persönlichkeitsrechtsschutz von Politikern bedeutet die Entscheidung, dass Geldentschädigungen nur bei eindeutig schwerwiegenden Eingriffen zugesprochen werden können. Mehrdeutige Äußerungen reichen nicht aus, solange eine vertretbare Interpretation vorliegt, die das Persönlichkeitsrecht unberührt lässt (vgl. BGH, Urt. v. 17.10.2023 - VI ZR 192/22 Rn. 27). Damit liegt der Schwerpunkt der Rechtsdurchsetzung künftig noch stärker auf Unterlassungsansprüchen.
Auch die Lizenzanalogie bleibt ein eng begrenztes Instrument: Nur wenn der Name in einem eindeutig kommerziellen Zusammenhang verwendet wird, etwa zur Werbung für Produkte oder Dienstleistungen, kommt ein Anspruch auf fiktive Lizenzgebühr in Betracht (BGH, Urt. v. 21.01.2021 - I ZR 120/19 „Clickbaiting“). Politische Kommunikation ist hiervon nicht erfasst.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Die Entscheidung unterstreicht die Differenzierung zwischen ideellen und vermögensrechtlichen Bestandteilen des Persönlichkeitsrechts. Geldentschädigung und Lizenzanalogie sind verschiedene Streitgegenstände, die prozessual getrennt geltend zu machen sind. Der erste Anspruch ist auf Ersatz des immateriellen Schadens, der zweite hingegen auf Ersatz materiellen Schadens gerichtet. Die Ansprüche sind auch wesensverschieden. So ist bereits tatbestandlich zwischen den dem verfassungsrechtlich geschützten Kern der Persönlichkeitsentfaltung angehörenden ideellen Bestandteilen des Persönlichkeitsrechts und den lediglich einfachrechtlich geschützten vermögenswerten Bestandteilen des Persönlichkeitsrechts zu unterscheiden (BGH, Urt. v. 01.12.1999 - I ZR 49/97 Rn. 48 bis 51 „Marlene Dietrich“).
Der BGH konkretisiert außerdem den weiten Journalismusbegriff des Art. 85 DSGVO. Auch parteipolitische Veröffentlichungen können journalistische Zwecke verfolgen, wenn sie auf die öffentliche Meinungsbildung zielen (vgl. EuGH, Urt. v. 16.12.2008 - C-73/07 Rn. 56 „Satamedia“).
Schließlich wird die verfassungsrechtliche Abwägung betont. Wahre Tatsachenbehauptungen sind grundsätzlich hinzunehmen, auch wenn sie nachteilig wirken, solange sie nicht zu einer unverhältnismäßigen Stigmatisierung führen (BVerfG, Beschl. v. 10.07.2019 - 1 BvR 1197/19 Rn. 3 f.). Damit setzt der BGH die Linie fort, wonach die Persönlichkeitsrechte stets im Lichte der Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG auszulegen sind. Der Begriff „Unternehmen der Presse“ ist danach verfassungs- und europarechtskonform dahin gehend auszulegen, dass er alle Anbieter von Telemedien zu journalistischen Zwecken erfasst. Damit werden neue digitale Kommunikationsformen ausdrücklich in den Schutzbereich des Medienprivilegs einbezogen.



Immer auf dem aktuellen Rechtsstand sein!

IHRE VORTEILE:

  • Unverzichtbare Literatur, Rechtsprechung und Vorschriften
  • Alle Rechtsinformationen sind untereinander intelligent vernetzt
  • Deutliche Zeitersparnis dank der juris Wissensmanagement-Technologie
  • Online-First-Konzept

Testen Sie das juris Portal 30 Tage kostenfrei!

Produkt auswählen

Sie benötigen Unterstützung?
Mit unserem kostenfreien Online-Beratungstool finden Sie das passende Produkt!