Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin bietet Telekommunikationsdienstleistungen an, ohne über eine eigene Netzinfrastruktur zu verfügen. Hierzu verkauft sie die von Telekommunikationsnetzbetreibern erbrachten Vorleistungen an ihre Endkunden weiter. Die beigeladenen Unternehmen mit Sitz in der Republik Malta betreiben Internetseiten auf denen Glücksspiele angeboten werden, die von der Bundesrepublik Deutschland aus erreichbar sind und die Gegenstand mehrerer, den Beigeladenen im Jahr 2020 bekannt gemachter, Untersagungsverfügungen deutscher Behörden waren.
Mit Bescheid vom 13.10.2022 ordnete die Beklagte gegenüber der Klägerin u. a. an, die genannten Internetseiten im Rahmen ihrer technischen Möglichkeiten als Zugangsvermittler zu sperren, so dass ein Zugriff über die von ihr in Deutschland zur Verfügung gestellten Zugänge zum Internet nicht mehr möglich sei.
Das VG hat diese Regelung aufgehoben. Das OVG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Bei der Klägerin handle es sich nicht um einen i.S.d. § 8 TMG verantwortlichen Diensteanbieter.
Das BVerwG hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV 2021 enthalte eine Rechtsgrundverweisung auf die §§ 8 bis 10 TMG, die statisch und nicht dynamisch sei. Unionsrecht stehe dieser Auslegung nicht entgegen.
Bereits der Wortlaut des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV 2021 lege nahe, dass die Vorschrift ein in den §§ 8 bis 10 TMG zum Ausdruck kommendes System abgestufter Verantwortlichkeit im Wege der Rechtsgrundverweisung in Bezug nehme.
Die Entstehungsgeschichte des Glücksspielstaatsvertrags 2021 belege, dass die Bezugnahme auf die §§ 8 bis 10 TMG bewusst als Rechtsgrundverweisung ausgestaltet worden sei.
Nach § 9 Abs. 1 Sätze 2 und 3 Nr. 5 des Glücksspielstaatsvertrags 2008 – GlüStV 2008 – habe die zuständige Behörde des jeweiligen Landes die zur Unterbindung unerlaubten Glücksspiels erforderlichen Anordnungen im Einzelfall erlassen dürfen. Dazu habe sie insbesondere Diensteanbietern i.S.d. vor Erlass des Telemediengesetzes geltenden § 3 Teledienstegesetz, soweit sie nach diesem Gesetz verantwortlich gewesen seien, die Mitwirkung am Zugang zu unerlaubten Glücksspielangeboten untersagen dürfen. Damit habe auf die „abgestuften Verantwortlichkeiten nach dem Teledienstegesetz [...] Rücksicht genommen“ werden sollen. Das habe bloße Internetzugangsvermittler in der Regel von einer Inanspruchnahme nach dem Glücksspielstaatsvertrag 2008 ausgeschlossen.
Eine im Jahr 2011 vorgesehene Änderung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV 2008 die ausdrücklich ermöglicht hätte, Diensteanbietern i.S.d. Telemediengesetzes, insbesondere Zugangsprovidern und Registraren, nach vorheriger Bekanntgabe unerlaubter Glücksspielangebote die Mitwirkung am Zugang zu diesen zu untersagen, sei nach Nachfragen der Europäischen Kommission zur Einhaltung der unionsrechtlichen Vorgaben nicht realisiert worden.
§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV 2021 sei nach der Vorstellung der Staatsvertragsparteien eine „neue Rechtsgrundlage für Maßnahmen gegen Diensteanbieter mit dem Ziel der Sperrung unerlaubter Glücksspielangebote (‚IP-Blocking‘)“. Die Wiedereinführung der Ermächtigung zu Sperranordnungen habe sich wegen der Schwierigkeiten des Vollzugs des Glücksspielstaatsvertrags 2012/2020 als erforderlich erwiesen, um die Ziele des § 1 effektiv zu erreichen. Die staatsvertragliche Ermächtigung zu Sperranordnungen sei angemessen, weil sie dem System abgestufter Verantwortlichkeit, wie es in den §§ 8 bis 10 TMG vorgesehen sei, Rechnung trage.
Die historische Entwicklung belege, dass sich der Normgeber in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV 2021 bewusst für eine Störerbestimmung unter Inbezugnahme der Regelungen zur (Nicht-)Verantwortlichkeit in den §§ 8 bis 10 TMG entschieden habe. Angesichts der vergleichbaren Regelung im Glücksspielstaatsvertrag 2008 mit der dazu in Rechtsprechung und Literatur vertretenen engen Auslegung sei davon auszugehen, dass sich die Staatsvertragsparteien der Tragweite des Verweises auf das Telemediengesetz bewusst gewesen seien. Dafür spreche auch, dass nach dem Entwurf des Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrags vom April 2011 der Verweis auf die nach dem Telemediengesetz verantwortlichen Diensteanbieter habe gestrichen werden sollen, um eine wesentlich weiter gehende Eingriffsermächtigung zu schaffen. Hinzu komme, dass die Regelung in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV 2021 ausweislich der Erläuterungen zum Staatsvertrag ausdrücklich dem System abgestufter Verantwortlichkeiten nach dem Telemediengesetz Rechnung tragen solle. Das System abgestufter Verantwortlichkeit komme in den §§ 8 bis 10 TMG selbst zum Ausdruck. Die Voraussetzungen, unter denen die Verantwortlichkeit von Zugangs-, Cache- und Host-Provider für eine im Internet übermittelte fremde Information danach ausgeschlossen sei, differenziere nach dem „Näheverhältnis“ des jeweiligen Diensteanbieters hierzu. Während der Host-Provider nach § 10 Satz 1 Nr. 1 TMG grundsätzlich bereits bei Kenntnis vom unerlaubten Inhalt hafteten, sei diese beim bloßen Zugangsvermittler nach § 8 TMG grundsätzlich unschädlich.
Die Gesetzessystematik führe zu keiner anderen als der von Wortlaut und Entstehungsgeschichte vorgegebenen Auslegung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV 2021.
Die Staatvertragsparteien seien nicht gehindert gewesen, die „Inkorporation“ der §§ 8 bis 10 TMG in den Staatsvertrag durch Verweisung zu bewirken. Aus den in Bezug genommenen Vorschriften ließen sich ohne Weiteres die Kriterien für die Verantwortlichkeit der Diensteanbieter ableiten, auch wenn die §§ 8 bis 10 TMG gestufte Voraussetzungen für den Ausschluss der Verantwortlichkeit regelten. Diensteanbieter seien danach verantwortlich für eine von ihnen vermittelte fremde Information, wenn keiner der Tatbestände der §§ 8 bis 10 TMG erfüllt sei. § 7 Abs. 3 Satz 1 TMG, wonach Verpflichtungen zur Entfernung von Informationen oder zur Sperrung der Nutzung von Informationen nach den allgemeinen Gesetzen aufgrund von gerichtlichen oder behördlichen Anordnungen auch im Falle der Nichtverantwortlichkeit des Diensteanbieters nach den §§ 8 bis 10 TMG unberührt blieben, schließe deren Anwendung nicht aus. Er stelle klar, dass § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV 2021 i.V.m. den §§ 8 bis 10 TMG Internetsperren nicht abschließend regelten, sondern Raum für Anordnungen aufgrund anderer Rechtsgrundlagen auch bei Fehlen der Verantwortlichkeit gemäß den §§ 8 bis 10 TMG lasse. Dabei normiere § 7 Abs. 3 Satz 1 TMG keine eigenständige Ermächtigung, sondern erfordere eine gesonderte Beurteilung, ob eine solche Rechtsgrundlage bestehe.
Der Sinn und Zweck des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV 2021 rechtfertige nicht, sich über den klaren Wortlaut der Norm und das eindeutige Ergebnis der aus der Entstehungsgeschichte und der Systematik abgeleiteten Auslegung hinwegzusetzen.
Ziel der unter anderem mit dem Glücksspielstaatsvertrag verfolgten Glücksspielregulierung sei die Unterbindung unerlaubter Glücksspielangebote. Daher hätten mit dem Glücksspielstaatsvertrag 2021 die Vollzugsmöglichkeiten gegenüber unerlaubten Angeboten verbessert werden sollen. Allein der Umstand, dass der Regelungszweck durch eine andere Fassung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV 2021 effektiver hätte erreicht werden können, erlaube den Gerichten jedoch nicht, den Anwendungsbereich entgegen dem klaren Wortlaut des Gesetzes und dem ausdrücklich in den Materialien zum Ausdruck kommenden Willen des Normgebers auszuweiten. Mit einer solchen, dem unzulässigen Schluss von einer Aufgabe auf eine Befugnis vergleichbaren erweiternden Auslegung würde auch die gesetzgeberische Bestimmung der Eingriffsgrenzen unterlaufen.
Die Rechtsgrundverweisung sei nicht dynamisch, sondern statisch auf die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Glücksspielstaatsvertrags 2021 geltende Fassung der §§ 8 bis 10 TMG bezogen. Die dem Ergehen des angegriffenen Urteils nachfolgende Aufhebung des Telemediengesetzes führe daher zu keiner anderen Auslegung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV 2021.
Der Wortlaut des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV 2021 sei insoweit zwar unergiebig, denn er verweise weder auf eine bestimmte Fassung der §§ 8 bis 10 TMG noch auf die Vorschriften „in der jeweiligen Fassung“. Jedoch belegten systematische Erwägungen die Annahme einer statischen Verweisung. Der Glücksspielstaatsvertrag enthalte eine Reihe weiterer Verweise auf andere Regelwerke (vgl. etwa die §§ 3 Abs. 9, 9 Abs. 8 und 27j Abs. 1 GlüStV 2021). Insbesondere der Vergleich der in § 9 GlüStV 2021 selbst enthaltenen Verweisungen zeige, dass der Normgeber in dessen Absatz 1 Satz 3 Nr. 5 auf die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens geltende Fassung der §§ 8 bis 10 TMG habe verweisen wollen. § 9 Abs. 8 GlüStV 2021 verweise auf die „Spielverordnung in der jeweils geltenden Fassung“. Damit hätten die Staatsvertragsparteien eine in derselben Norm enthaltene dynamische Verweisung eindeutig markiert, was dafürspreche, zumindest eine in derselben Norm enthaltene weitere Verweisung ohne den entsprechenden eindeutigen Zusatz als statische auszulegen. Ebenso verhalte es sich bei § 88 Abs. 3 TKG auf den in § 9 Abs. 1 Satz 5 GlüStV 2021 ebenfalls ohne den Zusatz auf „die jeweilige Fassung“ verwiesen werde. Dieser Verweis sei nur als statische Verweisung sinnvoll, denn der Regelungsgehalt der Norm sei zwischenzeitlich so verändert worden, dass eine dynamische Verweisung zu keinem folgerichtigen Ergebnis führen würde. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die Staatsvertragsparteien der Aufhebung des Telemediengesetzes durch Anpassung der Verweisung in § 109 Abs. 3 MedStV auf das nunmehr anstelle des Telemediengesetzes geltende Digitale-Dienste-Gesetz und die Verordnung (EU) 2022/2065 Rechnung getragen hätten. Dieselben Staatsvertragsparteien hätten keine Notwendigkeit gesehen, die ähnliche Verweisung im Glücksspielstaatsvertrag 2021 ebenfalls an die neue Rechtslage anzupassen, was darauf hindeute, dass sie von deren unverändertem Fortbestand als statische Verweisung ausgegangen seien. Schließlich sei auch kaum anzunehmen, dass sich die Staatsvertragsparteien angesichts der hohen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtmäßigkeit dynamischer Verweisungen in Eingriffsermächtigungen dem hohen Risiko der Rechtswidrigkeit einer dynamischen Verweisung in einem ständigen Änderungen unterworfenen Rechtsgebiet hätten aussetzen wollen.
Mit dem Unionsrecht sei die Auslegung des § 9 Abs. 1 Satz 5 GlüStV 2021 als statische Verweisung vereinbar. Mittlerweile regle die Verordnung (EU) 2022/2065 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.10.2022 - VO (EU) 2022/2065 -, auf die § 7 Abs. 1 DDG verweise, die Haftung der Diensteanbieter. Nach dem für Zugangsvermittler geltenden Art. 4 VO (EU) 2022/2065 hafteten diese nicht, wenn sie die Übermittlung nicht veranlassten, den Adressaten der übermittelten Informationen nicht auswählten und die übermittelten Informationen nicht auswählten oder veränderten. Nach Art. 4 Abs. 3 VO (EU) 2022/2065 bleibe die Befugnis einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde nach dem Rechtssystem eines Mitgliedstaats unberührt, vom Diensteanbieter zu verlangen, eine Zuwiderhandlung abzustellen oder zu verhindern. Dementsprechend stehe es den Ländern frei, Eingriffsermächtigungen wie § 9 Abs. 1 Satz 3 GlüStV 2021 aufrechtzuerhalten und anzuwenden. Im Übrigen seien die Voraussetzungen für die (Nicht-)Verantwortlichkeit von Zugangsvermittlern nach § 8 Abs. 1 TMG im Wesentlichen deckungsgleich mit denjenigen nach Art. 4 Abs. 1 VO (EU) 2022/2065 und führten hier jeweils zum selben Ergebnis.
Nach den bindenden Feststellungen des OVG hätten die Voraussetzungen für ein Einschreiten auf der Grundlage von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV 2021 nicht vorgelegen. Zutreffend sei auch die Annahme des OVG, dass die Verfügung nicht auf sonstige Ermächtigungsgrundlagen habe gestützt werden können, denn mit § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV 2021 existiere eine spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage mit besonders strengen Anforderungen, die durch einen Rückgriff auf die allgemeineren Regelungen unterlaufen würden.