juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BFH 2. Senat, Urteil vom 11.10.2023 - II R 34/20
Autor:Franz Linnartz, RA, FA für Erbrecht und FA für Steuerrecht
Erscheinungsdatum:15.10.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 6 ErbStG 1974, § 10 ErbStG 1974, § 3 ErbStG 1974
Fundstelle:jurisPR-FamR 21/2024 Anm. 1
Herausgeber:Andrea Volpp, RA'in und FA'in für Familienrecht
Franz Linnartz, RA und FA für Erbrecht und Steuerrecht
Zitiervorschlag:Linnartz, jurisPR-FamR 21/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Jastrowsche Klausel im Berliner Testament: Besteuerung eines betagten Vermächtnisses



Leitsätze

1. Setzen Ehegatten in einem sogenannten Berliner Testament sich gegenseitig als Alleinerben ein und gewähren denjenigen Kindern ein betagtes Vermächtnis, die beim Tod des Erstversterbenden ihren Pflichtteil nicht fordern (sogenannte Jastrowsche Klausel), kann der überlebende Ehegatte als Erbe des erstversterbenden Ehegatten die Vermächtnisverbindlichkeit nicht als Nachlassverbindlichkeit in Abzug bringen, da das Vermächtnis noch nicht fällig ist.
2. Das Kind hat den Erwerb des betagten Vermächtnisses bei dem Tod des überlebenden Ehegatten als von diesem stammend zu versteuern. Ist es zugleich Erbe des zuletzt verstorbenen Ehegatten, kann es das Vermächtnis als Nachlassverbindlichkeit in Abzug bringen.



A.
Problemstellung
Die Entscheidung befasst sich mit dem Problem, ob der überlebende Ehegatte als Erbe des erstversterbenden Ehegatten eine Vermächtnisverbindlichkeit als Nachlassverbindlichkeit in Abzug bringen kann, die sich infolge der Geltendmachung des Pflichtteils bei gegebener Jastrowschen Klausel ergab, aber erst beim Tod des Längstlebenden fällig ist.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Eltern verfassten ein Berliner Testament. Sie setzten sich also gegenseitig zu Alleinerben ein. Zu ihren Schlusserben setzten die Eltern vier ihrer sechs Kinder ein. Zu den Schlusserben wurde auch die Klägerin (Klägerin und Revisionsklägerin) berufen. Ein Bruder und eine Schwester wurden enterbt.
Nach der Jastrowschen Klausel des Testaments sollte für den Fall, dass eines der Kinder nach dem Tod des Erstversterbenden seinen Pflichtteil fordert, dieses Kind auch nach dem Tod des längstlebenden Elternteils nur seinen Pflichtteil erhalten. Die zu Erben berufenen Kinder, die nicht ihren Pflichtteil forderten, sollten aus dem Nachlass des Erstversterbenden ein Vermächtnis erhalten. Dieses Vermächtnis sollte so bemessen sein, wie ihr Erbteil bei gesetzlicher Erbfolge auf das Ableben des Erstversterbenden und Übernahme der Pflichtteilslast für die den Pflichtteil fordernden Geschwister. Das Vermächtnis sollte beim Tod des Erstversterbenden anfallen. Ausgezahlt werden sollte es aber erst nach dem Tod des Längstlebenden.
Nach dem Tod des zuerst verstorbenen Vaters forderten die enterbten Kinder ihren Pflichtteil. Nach dem späteren Tod der Mutter erklärten die Erben in der Erbschaftsteuererklärung Nachlassverbindlichkeiten aus betagten Vermächtnissen nach dem Tod des erstverstorbenen Vaters.
Das Finanzamt (Beklagte und Revisionsbeklagte) setzte die Erbschaftsteuer fest. Dabei erkannte es aber nicht die erklärten anteiligen Nachlassverbindlichkeiten aus den betagten Vermächtnissen an. Eine Besteuerung des von der Klägerin erworbenen betagten Vermächtnisses, dass beim Tod des Vaters anfiel, jedoch erst mit dem Tod der Mutter fällig wurde, unterblieb.
Die Klage vor dem Finanzgericht, gerichtet auf die Zulassung des betagten Vermächtnisses als Nachlassverbindlichkeit bei der Berechnung der Erbschaftsteuer und die Gewährung des zusätzlichen Freibetrages nach dem Vater, hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht gab der Klage nicht statt.
Der BFH hat die gegen das Urteil des Finanzgerichts eingelegte Revision der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen.
Die Bemessungsgrundlage für die Erbschaftsteuer sei nicht um den Betrag der Vermächtnisverbindlichkeiten zu mindern, da in gleicher Höhe kein Ansatz des erlangten betagten Vermächtnisses bei der Berechnung der Erbschaftsteuer nach der zuletzt verstorbenen Mutter erfolgt sei.


C.
Kontext der Entscheidung
Ausgangspunkt ist, dass der Vermächtnisanspruch (nach dem Tod des Vaters) aufgrund der Jastrowschen Klausel nach der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen entstand. Dieser Vermächtnisanspruch entsteht mit dem Tod des vorverstorbenen Erblassers. Fällig wird es aber als betagtes Vermächtnis erst mit dem Tod des Längstlebenden. Nach § 6 Abs. 4 ErbStG werden Vermächtnisse, die beim Tod des Beschwerten fällig sind, über eine Gleichstellung mit den Nacherbschaften im Wesentlichen so behandelt wie Vermächtnisse, die beim Tod des Beschwerten anfallen (BFH, Urt. v. 31.08.2021 - II R 2/20 - BFHE 273, 572 = ZEV 2022, 105). Aufgrund der Fiktion des § 6 Abs. 4, Abs. 2 Satz 1 ErbStG ist gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 ErbStG das beim Tod des Längstlebenden anfallende Vermächtnis als von diesem stammend zu versteuern.
Die Klägerin hatte als Schlusserbin nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 ErbStG den Nachlass ihrer Mutter zu versteuern. Die nach dem Tod des Längstlebenden fällig gewordenen Vermächtnisse sind als Nachlassverbindlichkeiten nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG in Abzug zu bringen. Hierunter fallen vertragliche, außervertragliche und gesetzliche Verpflichtungen, die in der Person des Erblassers begründet worden waren und mit seinem Tod nicht erloschen sind (BFH, Urt. v. 01.09.2021 - II R 8/20 - ZEV 2022, 298). Der Längstlebende konnte die betagten Vermächtnisse aufgrund der Jastrowschen Klausel nicht als Nachlassverbindlichkeit i.S.v. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG in Abzug bringen: Sie waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht fällig. Erst im Zeitpunkt des Todes des längstlebenden Ehegatten kam es zu der für den Abzug notwendigen wirtschaftlichen Belastung. Damit geht der Nachlass des Erstverstorbenen ungeschmälert durch die betagten Vermächtnisse auf den Längstlebenden über. Der Nachlass des Längstlebenden fällt nach dessen Tod ungeschmälert bei den Schlusserben an. Dieser kann jedoch das Vermächtnis aufgrund der Jastrowschen Klausel als Nachlassverbindlichkeit vom Nachlass des längstlebenden Erblassers abziehen.
Es ist auch systemimmanent und nicht zu beanstanden, dass es zu einer zweifachen Entstehung von Erbschaftsteuer in Bezug auf ein durch die Jastrowsche Klausel begründetes Vermächtnis kommt. Zum einen kommt es zu einer Erbschaftsteuer beim Tod des zuerst verstorbenen Ehegatten. Hier kann das betagte Vermächtnis mangels Fälligkeit nicht als Nachlassverbindlichkeit abgezogen werden. Und zum anderen kommt es nach dem Tod des Längstlebenden zu einer Besteuerung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 ErbStG beim Schlusserben als Vermächtnisnehmer im Hinblick auf das zu diesem Zeitpunkt fällig gewordene betagte Vermächtnis.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Für die Praxis wird klargestellt, dass betagte Vermächtnisse aufgrund der Jastrowschen Klausel den ersten Erbfall nicht belasten und daher an dieser Stelle nicht als Nachlassverbindlichkeit berücksichtigt werden können. Nach dem Tod des Längstlebenden stellt das Vermächtnis bei dem Schlusserben einen zu versteuernden Erwerbstatbestand nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 ErbStG (Erwerb eines Vermächtnisses) dar; es ist als Nachlassverbindlichkeit bei der Erbschaft des Längstlebenden gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 ErbStG zu berücksichtigen.



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