Leistung eines Dritten auf eine fremde Steuerschuld; Anfechtung einer Tilgungsbestimmung wegen DrohungLeitsätze 1. Eine Tilgungsbestimmung (§ 225 Abs. 1 AO) ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die nach den Regeln der §§ 133, 157 BGB auszulegen ist und auf die die Vorschriften der §§ 116 ff. BGB entsprechende Anwendung finden. 2. Auch ein Dritter, der auf eine fremde Steuerschuld leistet (§ 48 Abs. 1 AO), gibt eine Tilgungsbestimmung i.S.v. § 225 Abs. 1 AO ab. 3. Hat ein Dritter, der auf eine fremde Steuerschuld geleistet hat, seine Tilgungsbestimmung (§ 48 Abs. 1 i.V.m. § 225 Abs. 1 AO) wegen einer Drohung nach § 123 Abs. 1 Alternative 2 BGB wirksam angefochten, ist die Tilgungsbestimmung gemäß § 142 BGB als von Anfang an nichtig anzusehen. Dem Dritten kann in diesem Fall ein Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 Satz 1 und 2 AO zustehen. - A.
Problemstellung Die Zahlung von Steuern für einen anderen kann viele Gründe haben. Kommt es später dazu, dass eine Rückzahlung vom Finanzamt (FA) verlangt werden soll, scheitert dies regelmäßig an der Vorschrift des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO. Der BFH hatte zu prüfen, ob dies auch in dem Fall gilt, wenn die Tilgungsbestimmung des Zahlenden wegen einer Drohung nach § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB wirksam angefochten wird.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Klägerin hatte als Angestellte einer Steuerberatungsgesellschaft die Einkommensteuern 2019 für einen Mandanten (M) bezahlt. Die Überweisung an das FA enthielt neben der Bezeichnung des Namens des M und des Hinweises auf die Einkommensteuer 2019 auch seine Steuernummer. Das FA ordnete die Zahlung deshalb dem M zu. Etwa ein halbes Jahr später beantragte die Klägerin die Erstattung dieser Zahlung. Das FA lehnte dies ab. Im Einspruchsverfahren gab die Klägerin an, von M zur Zahlung erpresst worden zu sein. Sie habe deshalb die Zahlung angefochten. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die Revision der Klägerin hatte insoweit Erfolg, als der BFH die Vorentscheidung aufhob und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwies. Zwar sei das FG zutreffend davon ausgegangen, dass die Zahlung der Klägerin für M erfolgt sei. Somit habe grundsätzlich dieser einen Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO. Denn es sei für dessen Rechnung gezahlt worden. Allerdings könne die Klägerin einen solchen Erstattungsanspruch haben, wenn sie wirksam ihre Tilgungsbestimmung wegen widerrechtlicher Drohung angefochten habe. In diesem Fall sei die Tilgungsbestimmung gemäß § 142 BGB als nichtig anzusehen. Da das FG zu der Frage, ob die Klägerin gemäß § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB wirksam angefochten habe, keine tatsächlichen Feststellungen getroffen habe, sei das FG-Urteil aufzuheben und die Sache gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO zurückzuverweisen. Im zweiten Rechtsgang träfe die Klägerin allerdings die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 BGB.
- C.
Kontext der Entscheidung § 37 Abs. 2 Satz 1 AO sieht einen Erstattungsanspruch für denjenigen vor, „auf dessen Rechnung“ die Zahlung der Steuern, der Steuervergütung, des Haftungsbetrags oder der steuerlichen Nebenleistung erfolgte (BFH, Urt. v. 25.07.1989 - VII R 118/87 - BStBl II 1990, 41; Beschl. v. 12.05.2016 - VII R 50/14 - BStBl II 2016, 730 Rn. 10 m.w.N.). Dies soll verhindern, dass das FA zur Prüfung zivilrechtlicher Beziehungen im Einzelfall verpflichtet wird. Allerdings kann der Zahlende, der als Dritter i.S.d. § 48 Abs. 1 AO eine Leistung bewirkt hat, seine Tilgungsbestimmung anfechten. Zwar ist der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis ein solcher aus öffentlich-rechtlichem Grund. Die Zahlung der Steuerschuld (§ 224 AO) ist jedoch ein Vorgang, der „wesentlich nach zivilrechtlichen Vorschriften“ zu beurteilen ist (BGH, Urt. v. 30.03.2004 - XI ZR 145/03 - BFH/NV 2004, Beilage 4, 386, unter II.1.c aa). Dies gilt auch für die Ausübung des Bestimmungsrechts nach § 225 Abs. 1 AO. Folglich kann die Tilgungsbestimmung nach den §§ 119 ff., 123 f. BGB angefochten werden. Dieser Ansicht in der Literatur (vgl. dazu etwa Loose in: Tipke/Kruse, § 225 AO Rn. 7) hat sich der BFH im vorliegenden Urteil angeschlossen und klargestellt, dass dies nicht nur für den in § 225 Abs. 1 AO genannten Steuerpflichtigen, sondern auch für den Dritten i.S.d. § 48 Abs. 1 AO gilt. Die erfolgreiche Anfechtung führt dazu, dass die in § 48 Abs. 1 AO begründete Verbindung zwischen Leistung des Dritten und dem Steuerschuldverhältnis des anderen Steuerpflichtigen rückwirkend gelöst wird. Der Dritte erhält somit ausnahmsweise selbst einen Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Satz 2 AO. Es kommt nun auf ihn als Zahlenden an. Die Zahlung ist, da § 37 Abs. 2 Satz 1 AO auf „den Willen des Zahlenden“ abstellt, als auf „Rechnung des zahlenden Dritten“ anzusehen. Auf die Kenntnis des FA von der Drohung kommt es nicht an, da der Schutz der privatautonomen Entschließungsfreiheit den Bedürfnissen der Finanzverwaltung vorgehe, so der BFH.
- D.
Auswirkungen für die Praxis Im Fall der Anfechtung der Tilgungsbestimmung durch den Dritten ist zu beachten, dass dieser die Wirksamkeit der Anfechtung nachweisen muss. Ihn trifft die Beweislast.
- E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung Der Dritte hat einen Abrechnungsbescheid i.S.d. § 218 Abs. 2 AO zu beantragen, um seinen Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO geltend zu machen. Dieser war nach Auffassung des BFH im Ablehnungsschreiben des FA zu sehen, weshalb er die Klage zur Anfechtungsklage umdeuten konnte.
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