Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Arbeitnehmer klagte auf (Wieder-)Gutschrift abgezogener Arbeitsstunden auf seinem Arbeitszeitkonto und auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte.
Der Arbeitgeber, der einen Rettungsdienst in Schleswig-Holstein führte, beschäftigte den Kläger als Notfallsanitäter. Ihm waren sog. „unkonkrete Springerdienste“ für den 08.04.2021 und 15.09.2021 zugeteilt, die der Arbeitgeber im Einklang mit der maßgeblichen Betriebsvereinbarung rechtzeitig vorher auf einen „unkonkreten Tagdienst“ konkretisierte. Bei einem solchen Dienst war nach der Betriebsvereinbarung klar, dass er spätestens zwischen 6.00 und 9.00 Uhr beginnen musste und der Arbeitgeber bis 20.00 Uhr des Vortags den genauen Dienstbeginn weiter konkretisieren konnte.
Der Kläger hatte jeweils am Tag vor den Springerdiensten frei. Der Arbeitgeber versuchte vergeblich, ihn zu erreichen und über den genauen Dienstbeginn 6:00 Uhr bzw. 6:30 Uhr zu informieren. Schließlich schickte er dem Arbeitnehmer jeweils eine SMS mit der Information über den zugeteilten Dienst. Der Kläger erschien trotzdem nicht rechtzeitig zum Dienst, zeigte aber um 7.30 Uhr telefonisch seine Arbeitsbereitschaft an. Der Arbeitgeber setzte ihn am 08.04.2021 nicht mehr ein, weil er bereits einen anderen Mitarbeiter in Rufbereitschaft herangezogen hatte, am 15.09.2021 beschäftigte er ihn erst nach seinem Erscheinen zum Dienst um 8:26 Uhr. Zudem erteilte er dem Kläger zuerst eine Ermahnung, dann eine Abmahnung wegen unentschuldigten Fehlens und zog elf Stunden für den 08.04.2021 und 1,93 Stunden für den 15.09.2021 vom Arbeitszeitkonto ab.
Das BAG entschied, dass der Kläger weder eine Korrektur des Arbeitszeitkontos noch eine Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte verlangen konnte. Denn der Arbeitnehmer sei zur Übernahme der Dienste verpflichtet gewesen und hätte seine Arbeitsleistung nicht ordnungsgemäß angeboten.
§ 294 BGB sähe vor, dass der Arbeitnehmer die Leistung grundsätzlich tatsächlich so anbieten müsse, wie sie zu bewirken sei, also am rechten Ort, zur rechten Zeit und in der rechten Art und Weise. Der Kläger hätte nicht nur eine telefonische Anzeige seiner Einsatzbereitschaft um 7.30 Uhr geschuldet, weil der Arbeitgeber den Dienst wirksam dahingehend konkretisiert und ihm eine entsprechende Weisung erteilt hätte, dass er um 6.00 bzw. 6.30 Uhr auf der Wache in P antreten hätte müssen. Nachdem die Betriebsvereinbarung es dem Arbeitgeber gestattet hätte, den Dienst innerhalb des Zeitfensters bis 20.00 Uhr des Vortags vor Dienstbeginn weiter zu konkretisieren, wäre die Konkretisierung rechtzeitig erfolgt.
Der Arbeitnehmer könne sich nicht darauf berufen, von der wirksamen Konkretisierung seines Dienstes keine Kenntnis gehabt zu haben. Es bestünde eine Nebenpflicht aus dem Vertragsverhältnis, die Zuteilung des Dienstes zur Kenntnis zu nehmen. Diese Nebenpflicht müsse der Arbeitnehmer auch außerhalb seiner eigentlichen Dienstzeit als Notfallsanitäter nachkommen, was sich aus dem Rücksichtnahmegebot aus § 241 Abs. 2 BGB ergeben würde. Der Arbeitnehmer habe gewusst, dass er aufgrund des Dienstplans nur zu einem unkonkreten Tagdienst eingeteilt war. Er habe deshalb damit rechnen müssen, dass der Dienstbeginn bis spätestens 20.00 Uhr des Vortages weiter konkretisiert werde. Er hätte deshalb zumindest einmal nach 20.00 Uhr des Vortages auf sein Mobiltelefon schauen und sich informieren müssen, wann sein Dienst am Folgetag beginne.
Die Pflicht zur Kenntnisnahme der SMS während seiner Freizeit führe auch nicht zu einer Kollision mit den Regelungen des ArbZG und der Richtlinie 2003/88/EG (nachfolgend kurz: Richtlinie). Bei der Kenntnisnahme der Weisung zum Beginn seines Tagdienstes handle es sich nicht um Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinn.
Arbeitszeit nach Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie sei „jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer … arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt“. Ruhezeit dagegen sei nach Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie „jede Zeitspanne, außerhalb der Arbeitszeit“. Arbeitszeit und Ruhezeit schlössen sich für die Zwecke der Anwendung für die Richtlinie aus. Unter den Begriff „Arbeitszeit“ im Sinn der Richtlinie fielen solche Zeitspannen, während deren dem Arbeitnehmer Einschränkungen von solcher Art auferlegt würden, dass sie seine Möglichkeit, die Zeit frei zu gestalten und sich seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigten. Erreichten die Einschränkungen keinen solchen Intensitätsgrad und erlaubten diese es dem Arbeitnehmer, über seine Zeit zu verfügen und sich ohne größere Einschränkungen seinen eigenen Interessen zu widmen, läge nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH, der sich das BAG angeschlossen hat, keine Arbeitszeit für die Zwecke der Anwendung der Richtlinie vor.
Die Kenntnisnahme der Weisung im vorliegenden Fall würde die Möglichkeiten des Klägers nicht erheblich beeinträchtigen, seine Freizeit frei zu gestalten. Die Ruhezeit werde deshalb durch die Kenntnisnahme nicht unterbrochen. Der Arbeitnehmer könne frei wählen, zu welchem Zeitpunkt er die Weisung zur Kenntnis nehme. Der eigentliche Moment der Kenntnisnahme der SMS stelle sich als zeitlich derart geringfügig dar, dass auch insoweit von einer ganz erheblichen Beeinträchtigung der Nutzung der freien Zeiten nicht ausgegangen werden könne. Auch der EuGH habe in den Fällen der Rufbereitschaft nicht thematisiert, dass der „Ruf“ zur Arbeitsleistung Arbeitszeit im Sinne der Richtlinie sei. Der Arbeitnehmer habe gewusst, dass der Tagdienst bis 20.00 Uhr des Vortages weiter konkretisiert werden könne, weshalb er die SMS des Arbeitgebers auch in seiner Freizeit zur Kenntnis nehmen müsse.