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Anmerkung zu:OLG Hamm 13. Senat für Familiensachen, Beschluss vom 03.11.2023 - II-13 UF 106/22
Autor:Dr. Sven Billhardt, RiOLG
Erscheinungsdatum:20.02.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 1684 BGB, § 69 FamFG
Fundstelle:jurisPR-FamR 4/2024 Anm. 1
Herausgeber:Andrea Volpp, RA'in und FA'in für Familienrecht
Franz Linnartz, RA und FA für Erbrecht und Steuerrecht
Zitiervorschlag:Billhardt, jurisPR-FamR 4/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Bedürfnis für Umgangsregelung mit einem Jugendlichen trotz entgegenstehenden Kindeswillens



Leitsätze

1. Das Umgangsverfahren erledigt sich nicht durch Ablauf der Frist für einen Umgangsausschluss.
2. Ausnahmsweise kann der Umgangsantrag eines Elternteils zurückzuweisen sein, ohne dass weitere Anordnungen zum Umgang getroffen werden oder der Umgang befristet ausgeschlossen wird.



A.
Problemstellung
In welcher Weise kann ein Umgangsverfahren zum Abschluss gebracht werden, wenn ein Jugendlicher den Umgang nur nach seinen Wünschen ausüben möchte?


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Eltern eines inzwischen 15-jährigen Jungen trennten sich bereits kurz nach seiner Geburt. Seitdem streiten sie über den Umgang. Zuletzt wurde vor über fünf Jahren ein stundenweise begleiteter Umgang angeordnet. Dieser fand lediglich an einem Tag statt. Der Vater weigerte sich innerhalb des Umgangsverfahrens entgegen der Anregung der Sachverständigen sich psychiatrisch untersuchen zu lassen. Das Amtsgericht ordnete einen für ein Jahr befristeten Ausschluss des Umgangs an. Andernfalls sei das Wohl des Kindes gefährdet. Der Junge widersetze sich dem Umgang. Eine Regelung würde mehr Schaden anrichten als nützen. Zudem würde es aufgrund des Verhaltens des Vaters bei einem Umgang zu einer Gefährdung kommen. Er habe sich über Jahre als absolut bindungsintolerant gegenüber der Mutter gezeigt und sie in der Öffentlichkeit bloßgestellt. Es sei zu erwarten, dass er in den Umgangskontakten seine Vorwürfe wiederhole und den Loyalitätskonflikt seines Sohnes verstärke. Dieser Gefahr könne auch nicht durch begleitete Umgänge begegnet werden, da er seine Haltung auch unterschwellig vermittle.
Das OLG Hamm hat die Beschwerde des Vaters zurückgewiesen.
Obwohl der befristete Umgangsausschluss von einem Jahr inzwischen abgelaufen sei, sei keine Erledigung des Verfahrens eingetreten. Es bestehe aber kein Bedürfnis mehr an einer gerichtlichen Umgangsregelung. Der Vater sei seit dem Ablauf des befristeten Ausschlusses nicht gehindert, mit seinem Sohn Kontakt aufzunehmen. Ein Anlass, den Umgang weiterhin auszuschließen, bestehe nicht. Der Erlass einer bestimmten vollstreckungsfähigen Umgangsregelung sei nicht geboten, weil eine solche Regelung mit den Interessen des betroffenen Jugendlichen nicht zu vereinbaren sei. Aufgrund des Ergebnisses der Anhörung des Jugendlichen bestehe kein Anlass für einen weiteren Ausschluss des Umgangsrechts des Vaters. Dieser sei weder mit dem Willen des Jugendlichen noch mit einer drohenden Kindeswohlgefährdung zu rechtfertigen. Er wolle den Kontakt zu seinem Vater nach eigenen Vorstellungen regeln, wenn er einen Sinn darin sehe. Es bestehe aber auch kein Raum, den Umgang gegen den Willen vollstreckungsfähig zu regeln. Daher bleibe nur, den Umgang ungeregelt zu lassen.


C.
Kontext der Entscheidung
Ist ein Umgangsverfahren eingeleitet, muss es grundsätzlich durch eine den Umgang regelnde Entscheidung abgeschlossen werden. Entweder wird der Umgang positiv geregelt oder für einen festzulegenden Zeitraum ausgeschlossen (BGH, Beschl. v. 13.04.2016 - XII ZB 238/15 Rn. 17 - FamRZ 2016, 1058; BGH, Beschl. v. 27.10.1993 - XII ZB 88/92 Rn. 15 - FamRZ 1994, 158). Denn ansonsten weiß der umgangsberechtigte Elternteil nicht, wie er das Umgangsrecht tatsächlich wahrnehmen darf und wann er einen neuen Anlauf zur gerichtlichen Regelung nehmen kann. Wird trotzdem der Umgangsantrag schlicht zurückgewiesen, kann dies wegen einer fehlenden Sachentscheidung gemäß § 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG zu einer Aufhebung und Zurückverweisung des Verfahrens führen.
Nur ausnahmsweise kann ein Umgangsverfahren durch die feststellende Entscheidung abgeschlossen werden, dass es einer gerichtlichen Umgangsregelung nicht bedarf (vgl. Dürbeck in: Staudinger, BGB, 2023, § 1684 Rn. 183 ff.). Dies wird etwa angenommen, wenn der Umgangsberechtigte sich weigert aus dem Ausland anzureisen (OLG Frankfurt, Beschl. v. 29.09.2022 - 6 UF 103/22 Rn. 37 - FamRZ 2023, 1211), wenn sich die Eltern außergerichtlich verständigt haben (OLG Köln, Beschl. v. 12.10.2021 - 10 UF 86/21 Rn. 8 - FamRZ 2022, 369), der Umgangselternteil Kontakte mit dem Kind ohne Übernachtungen kategorisch ablehnt, Übernachtungsbesuche jedoch (zunächst) nicht in Betracht kommen (OLG Frankfurt, Beschl. v. 24.11.2020 - 5 UF 110/20 Rn. 11 - FamRZ 2021, 1125) oder wegen einer Gefährdung des Kindeswohls nur begleiteter Umgang angeordnet werden könnte, der den Umgang begehrende Vater einen begleiteten Umgang aber ablehnt (OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.10.2021 - 10 UF 40/21 Rn. 59 - FamRZ 2022, 358; a.A.: KG, Beschl. v. 06.05.2016 - 13 UF 40/16 Rn. 22 - FamRZ 2016, 1780).
Demgegenüber wurde ein Absehen von einer Umgangsregelung aufgrund des Willens des Kindes mit Ausnahme der vorliegenden Entscheidung – soweit ersichtlich – bisher nur vom OLG Köln (Beschl. v. 06.07.2016 - 4 UF 41/16) vertreten. Inzwischen ist dieser Ansicht das OLG Frankfurt mit Beschluss vom 08.01.2024 (6 UF 196/23) mit überzeugenden Gründen entgegengetreten. § 1684 BGB sieht nur die Möglichkeit vor, nach § 1684 Abs. 3 Satz 1 BGB den elterlichen Umgang vollstreckbar zu regeln und ihn ggf. nach § 1684 Abs. 4 Sätze 1, 2 BGB zu beschränken oder aber ihn nach § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB wegen einer nicht anders abwendbaren Gefährdung des Kindeswohls auszuschließen (vgl. Dürbeck in: Staudinger, BGB, 2019, Stand 05.08.2020, § 1684 Rn. 188.1, 313a). Meist streiten die Eltern über die Frage, ob es sich um einen beachtlichen Kindeswillen handelt. Ein Bedürfnis für eine regelnde Entscheidung lässt sich damit schwerlich verneinen.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Gerichtliche Umgangsstreitigkeiten der Eltern über ältere Jugendliche (hier 15 Jahre) sind relativ selten. Meist besteht die Einsicht der Eltern, dass der Umgang mit einem Jugendlichen kaum noch sinnvoll gerichtlich geregelt werden kann – schon gar nicht gegen dessen Willen selbst. Meist liegen – wie hier – Sachverhalte zugrunde, in denen schon seit Jahren kein Kontakt erfolgte und um prinzipielle Fragen gestritten wird. Zunächst muss sich der Elternteil entscheiden, ob er gegen den Willen des Jugendlichen eine gerichtlich vollstreckbare Umgangsregelung erreichen möchte. Wenn dies der Fall ist, muss das Gericht auf der Grundlage des § 1684 BGB entscheiden, ob eine solche Regelung das Kindeswohl gefährdet. In die Entscheidung können Einschränkungen des Umgangsausschlusses (z.B. Kontaktaufnahme durch das Kind, brieflicher Kontakt) aufgenommen werden. Wird trotzdem das Verfahren aufgrund des geäußerten Willens des Kindes ohne Regelung – wie vorliegend oder durch Antragsabweisung – beendet, ist eine Beschwerde zu erwägen, die wegen der mangelnden Entscheidung in der Sache gemäß § 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG zu einer Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung führen kann.



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