juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 9. Zivilsenat, Urteil vom 16.05.2024 - IX ZR 143/23
Autor:Prof. Dr. Torsten Martini, RA und FA für Insolvenz- und Sanierungsrecht
Erscheinungsdatum:08.10.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 240 ZPO, § 85 InsO, § 86 InsO, § 270 InsO, § 283 InsO, § 179 InsO, § 184 InsO, § 180 InsO
Fundstelle:jurisPR-InsR 9/2024 Anm. 1
Herausgeber:Ministerialrat Alexander Bornemann
Dr. Daniel Wozniak, RA, FA für Insolvenz- und Sanierungsrecht, FA für Handels- und Gesellschaftsrecht und FA für Steuerrecht
Zitiervorschlag:Martini, jurisPR-InsR 9/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Befugnis zur Aufnahme eines durch Insolvenz unterbrochenen Rechtsstreits



Leitsatz

Widerspricht in einem Eigenverwaltungsverfahren ausschließlich der Sachwalter der Feststellung einer titulierten Forderung zur Tabelle, ist er und nicht der eigenverwaltende Schuldner befugt, den Widerspruch durch Aufnahme des anhängigen Rechtsstreits weiterzuverfolgen.



A.
Problemstellung
Gegenstand der Entscheidung sind Fragen des Feststellungsprozesses in der Eigenverwaltung.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger, ein Insolvenzverwalter, meldete eine nicht rechtskräftig titulierte Forderung aus einem Rückgewähranspruch aus anfechtbaren Handlungen im eigenverwalteten Insolvenzverfahren der Anfechtungsgegnerin zur Insolvenztabelle an. Nur der Sachwalter widersprach. Über die angemeldete Forderung war bereits vorinsolvenzlich ein Rechtsstreit anhängig, der sodann nach § 240 ZPO unterbrochen wurde. Sachwalter und Schuldnerin erklärten die Aufnahme. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem OLG stellte der Sachwalter keinen Antrag. Der Schuldner wollte den Widerspruch des Sachwalters verfolgen (§ 184 Abs. 2 InsO). Das OLG stellte die andauernde Unterbrechung des Rechtsstreits im Wege des Zwischenurteils fest und ließ die Revision zu. Diese wies der BGH zurück.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten führte zur Verfahrensunterbrechung nach § 240 ZPO. Eine Aufnahme des unterbrochenen Rechtsstreits kommt gemäß § 240 Satz 1 ZPO nur unter den Voraussetzungen der §§ 85, 86, 180 Abs. 2 InsO in Betracht (BGH, Urt. v. 16.02.2023 - IX ZR 21/22). Sachurteilsvoraussetzungen der Aufnahme des Rechtsstreits sind auch in der Eigenverwaltung (wegen § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO) die wirksame Anmeldung der Forderung zur Insolvenztabelle, die Prüfung im Prüfungstermin bzw. bei diesbezüglicher Anordnung im schriftlichen Verfahren sowie die Erhebung eines die Feststellung der Forderung ausschließenden Widerspruchs durch einen dazu zugelassenen Beteiligten. In der Eigenverwaltung gilt gemäß § 283 Abs. 1 Satz 2 InsO eine Forderung, die ein Insolvenzgläubiger, der Schuldner oder der Sachwalter bestritten hat, nicht als festgestellt. Anders als im Regelverfahren verhindert daher auch ein Widerspruch des Schuldners gemäß § 283 Abs. 1 Satz 2 InsO die Feststellung einer Forderung zur Insolvenztabelle.
Gemäß § 179 Abs. 2 InsO obliegt es dem eine angemeldete Forderung Bestreitenden, den Widerspruch zu verfolgen, wenn für eine solche Forderung ein vollstreckbarer Schuldtitel oder ein Endurteil vorliegt. War zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits ein Rechtsstreit über diese Forderung anhängig, ist die Feststellung gemäß den §§ 180 Abs. 2, 270 Abs. 1 Satz 2 InsO durch Aufnahme des Rechtsstreits zu betreiben. Neben dem ebenfalls aufnahmeberechtigten Kläger hätte nur der Sachwalter die Aufnahme des Rechtsstreits gemäß den §§ 179 Abs. 2, 180 Abs. 2, 283 Abs. 1 Satz 1 InsO betreiben können. Denn die eigenverwaltete Beklagte hatte der Forderung der Feststellung zur Tabelle nicht widersprochen. Ein vom Bestreiten eines anderen abgeleitetes Verfolgungsrecht gibt es nicht. Hierfür fehlt auch, worauf der BGH zu Recht hinweist, jede Notwendigkeit, da der eigenverwaltende Schuldner der Forderung selbst widersprechen und den Rechtsstreit sodann wirksam aufnehmen kann.
Schließlich erkennt der Senat auch darauf, dass der bestreitende Sachwalter den von ihm erhobenen Widerspruch, der die Feststellung der Forderung hindert (§ 283 Abs. 1 Satz 2 InsO), natürlich auch nach den §§ 179 Abs. 2, 180 Abs. 2 InsO weiterverfolgen könne.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Der Streit über die Feststellung einer bestrittenen Forderung zur Insolvenztabelle ist zwischen dem Gläubiger und dem Bestreitenden auszutragen. Der BGH hat nunmehr klargestellt, dass auch in der Eigenverwaltung die allgemeinen Regelungen gelten. Bei Feststellungslast des Bestreitenden aufgrund Titulierung (§ 179 Abs. 2 InsO) kann der Widerspruch des Sachwalters nur vom Sachwalter und der Widerspruch des Schuldners nur vom Schuldner verfolgt werden.
Hält der Schuldner also in der Eigenverwaltung eine Forderung für unbegründet, sollte er sich nicht darauf verlassen, dass der Sachwalter widerspricht bzw. seinen Widerspruch aufrechterhält.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Die Frage, ob § 184 Abs. 2 InsO auf den eigenverwaltenden Schuldner Anwendung findet oder ob für diesen wegen seiner Doppelrolle (Schuldner und Verwalter in eigener Sache) § 180 Abs. 2 InsO gilt, war nicht entscheidungsrelevant, der BGH stellt den Streitstand hierzu aber ebenfalls dar, ohne sich in der Sache festzulegen.
Zum Recht des Gläubigers zur Aufnahme des Rechtsstreits in Bezug auf eine titulierte Forderung bei Untätigkeit des Bestreitenden: BGH, Urt. v. 29.06.1998 - II ZR 353/97; BGH, Beschl. v. 31.10.2012 - III ZR 204/12.
Zur ebenfalls nicht entscheidungserheblichen Frage der Aussonderungskraft von Rückgewähransprüchen aus anfechtbaren Handlungen vgl. Werner, NZI 2024, 774, mit einer Darstellung des diesbezüglichen Streitstandes.



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