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Anmerkung zu:BFH 3. Senat, Beschluss vom 17.08.2023 - III R 26/22
Autor:Dieter Steinhauff, RiBFH a.D.
Erscheinungsdatum:26.02.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 126a FGO, § 355 AO 1977, § 157 AO 1977, § 3a VwVfG, § 70 VwGO, § 36a SGB 1, § 84 SGG, § 357 AO 1977, § 87a AO 1977, § 356 AO 1977
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 8/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Steinhauff, jurisPR-SteuerR 8/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Anforderungen an den Inhalt einer Rechtsbehelfsbelehrung zur elektronischen Einspruchseinlegung



Leitsätze

1. Erwähnt die Rechtsbehelfsbelehrung die elektronische Einlegung i.S.d. § 357 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO), ist ein zusätzlicher Hinweis auf die Möglichkeit einer Einspruchseinlegung mittels E-Mail nicht erforderlich.
2. Die Rechtsbehelfsbelehrung ist hinsichtlich der Formerfordernisse für die Einlegung eines Einspruchs weder unvollständig noch unrichtig i.S.d. § 356 Abs. 2 AO, wenn sie den Wortlaut des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO wiedergibt.



A.
Problemstellung
Der III. Senat des BFH wendet eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung zu den formalen Anforderungen an deine Rechtsbehelfsbelehrung i.S.v. § 356 Abs. 1 AO an.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Mit Bescheid vom 18.06.2021 hob die beklagte Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für die Kinder A und B für den Zeitraum Januar 2017 bis Dezember 2019 auf und forderte deswegen 9.109,65 Euro von der Klägerin zurück. Der Bescheid enthielt folgende Rechtsbehelfsbelehrung: „Dieser Bescheid kann mit dem Einspruch angefochten werden. […] Der Einspruch ist bei der Familienkasse X mit Sitz in Y schriftlich einzureichen, dieser elektronisch zu übermitteln oder dort zur Niederschrift zu erklären. Die Frist für den Einspruch beträgt einen Monat. […]“.
Im finanzgerichtlichen Verfahren gab die Klägerin an, zum Zeitpunkt und zur Art und Weise des Zugangs des Bescheids keine genauen Angaben mehr machen zu können, den Bescheid jedoch spätestens am 09.07.2021 erhalten zu haben. Mit Faxschreiben vom 12.10.2021 legte die Klägerin durch den Klägervertreter Einspruch ein, den die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 03.12.2021 ohne Prüfung in der Sache als unzulässig, da verspätet, verwarf.
Im anschließenden Klageverfahren vertrat die Klägerin die Ansicht, die Rechtsbehelfsbelehrung des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids sei unrichtig. Die Familienkasse hätte ausdrücklich darüber belehren müssen, dass der Einspruch auch mittels einer einfachen E-Mail hätte erfolgen können. Daher habe die Einspruchsfrist gemäß § 356 Abs. 2 Satz 1 AO ein Jahr betragen, so dass der Einspruch rechtzeitig erfolgt sei.
Das FG Berlin-Brandenburg (Urt. v. 05.05.2022 - 16 K 16190/21 - EFG 2022, 1805) hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Der BFH hat die Revision der Klägerin gemäß § 126a FGO durch Beschluss als unbegründet zurückgewiesen. Das FG habe in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise entschieden, dass der streitige Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid wegen Versäumung der Einspruchsfrist bestandskräftig geworden sei.
Nach § 355 Abs. 1 Satz 1 AO sei der Einspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Der Einspruch sei gemäß § 357 Abs. 1 Satz 1 AO – in der ab dem 01.08.2013 gültigen Fassung des Gesetzes zur Förderung der elektronischen Verwaltung sowie zur Änderung weiterer Vorschriften (E-Government-Gesetz – EGovG –) v. 25.07.2013 (BGBl I 2013, 2749) – schriftlich oder elektronisch einzureichen oder zur Niederschrift zu erklären. Er sei bei der Behörde anzubringen, deren Verwaltungsakt angefochten werde oder bei der ein Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts gestellt worden sei (§ 357 Abs. 2 Satz 1 AO).
Die Monatsfrist für die Einspruchseinlegung beginne nach § 356 Abs. 1 AO nur, wenn der Beteiligte über den Einspruch und die Finanzbehörde, bei der er einzulegen sei, deren Sitz und die einzuhaltende Frist in der für den Verwaltungsakt verwendeten Form belehrt worden sei. Über die Form des Einspruchs selbst sei hiernach nicht (zwingend) zu belehren (BFH, Urt. v. 20.11.2013 - X R 2/12 Rn. 18 - BStBl II 2014, 236; Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 7/2014 Anm. 1). Sei die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so sei die Einlegung des Einspruchs nur binnen eines Jahres seit Bekanntgabe des Verwaltungsakts zulässig, es sei denn, dass die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich gewesen oder schriftlich oder elektronisch darüber belehrt worden sei, dass ein Einspruch nicht gegeben sei (§ 356 Abs. 2 Satz 1 AO).
Im Streitfall verlängere sich die Einspruchsfrist nicht nach § 356 Abs. 2 Satz 1 AO auf ein Jahr seit Bekanntgabe des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids vom 18.06.2021. Die Rechtsbehelfsbelehrung der Familienkasse sei vollständig und richtig erteilt worden.
Die Rechtsbehelfsbelehrung genüge den Anforderungen von § 157 Abs. 1 Satz 3 AO und § 356 Abs. 1 AO. Sie gebe den Wortlaut des § 357 AO wieder und belehre zutreffend, vollständig und unmissverständlich darüber, welcher Rechtsbehelf gegen die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung zulässig sei und binnen welcher Frist dieser in welcher Form (schriftlich, elektronisch oder zur Niederschrift) bei welcher Behörde einzulegen sei. Eine weiter gehende Belehrungspflicht habe nicht bestanden.
Bei dem Hinweis auf die Möglichkeit, den Einspruch „elektronisch zu übermitteln“, handle es sich auch nicht um eine irreführende Abweichung vom Gesetzeswortlaut. Die Verwendung des an dieser Stelle nicht im Gesetz genannten Begriffs „übermitteln“ sei nicht missverständlich, sondern gebe den Sinn des in § 357 Abs. 1 Satz 1 AO verwendeten Wortes „einzureichen“ wieder. Denn sowohl die Worte „übermitteln“ und „einzureichen“ (§ 357 Abs. 1 Satz 1 AO) als auch der Begriff der „Anbringung“ (§ 357 Abs. 2 Satz 4 AO) beschrieben den „Transport“ der Erklärung.
Entgegen der Ansicht der Klägerin müsse die Belehrung nicht den klarstellenden Hinweis enthalten, dass der Beteiligte den Einspruch auch per E-Mail einlegen könne. Denn bei Angaben in der Rechtsbehelfsbelehrung, die nicht Pflichtangaben nach § 356 Abs. 1 AO seien, seien keine höheren Anforderungen an die Detailliertheit zu stellen als bei solchen Angaben, die notwendiges Element der Rechtsbehelfsbelehrung sind (BFH, Beschl. v. 10.11.2016 - X B 85/16 - BFH/NV 2017, 261, Rn. 16). Wenn es bezüglich der Frist (Pflichtangabe) ausreiche, den Wortlaut der einschlägigen Bestimmung wiederzugeben, müsse dies erst recht gelten, wenn Angaben zur Form gemacht würden, die schon dem Grunde nach nicht zwingender Bestandteil der Rechtsbehelfsbelehrung seien (vgl. BFH, Urt. in BStBl II 2014, 236 Rn. 22; BFH, Beschl. v. 28.04.2015 - VI R 65/13 Rn. 15 - BFH/NV 2015, 1074).
Die Aussage in der hier vorliegenden Rechtsbehelfsbelehrung „der Einspruch ist […] der Familienkasse […] elektronisch zu übermitteln“ sei aus der Sicht des Empfängers bei objektiver Betrachtung auch nicht geeignet, einen Irrtum über die formellen Voraussetzungen einer Einspruchseinlegung dergestalt hervorzurufen, dass der Einspruch nur mit einer qualifizierten elektronischen Signatur – qeS – (vgl. § 87a Abs. 3 Sätze 1 und 2 AO) eingelegt werden könne.
Darüber hinaus wäre der von der Klägerin gewünschte Zusatz „Die Einlegung eines Einspruchs per einfacher E-Mail ist ausreichend“ insofern irreführend, als die „elektronische“ Einlegung des Einspruchs – wenn ein entsprechender Zugang eröffnet sei (§ 87a Abs. 1 Satz 1 AO) – auch mittels Telefax, Computerfax, Ferrari-Fax, E-Mail-to-Fax, E-Postbrief mit elektronischer Zustellung, De-Mail et cetera zulässig sein könne (vgl. Siegers in: HHSp, § 357 AO Rn. 21 m.w.N.). Die Nennung sämtlicher Möglichkeiten der Einspruchseinlegung müsste fortlaufend dem jeweiligen technischen Fortschritt auf dem Gebiet der Digitalisierung und Telekommunikation Rechnung tragen und würde wegen ihres Umfangs und ihrer Kompliziertheit Verwirrung stiften, statt für Klarheit zu sorgen (vgl. BFH, Urt. v. 07.03.2006 - X R 18/05 - BStBl II 2006, 455) und die Rechtsmittelbelehrung inhaltlich überfrachten.
Die im Bescheid vom 18.06.2021 enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung sei auch nicht geeignet gewesen, dem Betroffenen die Rechtsverfolgung in einer vom Gesetz nicht vorgesehenen Weise zu erschweren. Einem Bescheidempfänger, der darüber informiert worden sei, dass er den Einspruch „schriftlich, elektronisch oder zur Niederschrift“ einlegen könne, sei es im Rahmen seiner Mitverantwortung ohne Weiteres zumutbar, sich die erforderliche Klarheit über den Begriff „elektronisch“ zu verschaffen. Erforderlichenfalls sei er gehalten, sich Rechtsrat einzuholen oder bei der Familienkasse nachzufragen.


C.
Kontext der Entscheidung
I. Nach der Rechtsprechung des BFH ist eine Rechtsbehelfsbelehrung erst dann unrichtig, wenn sie in wesentlichen Aussagen unzutreffend oder derart unvollständig oder missverständlich gefasst ist, dass hierdurch – bei objektiver Betrachtung – die Möglichkeit zur Fristwahrung gefährdet erscheint (z.B. BFH, Beschl. v. 28.04.2015 - VI R 65/13 Rn. 15 m.w.N. - BFH/NV 2015, 1074). Unerheblich ist hingegen, ob eine unrichtige Belehrung für die Fristversäumung ursächlich war (BFH, Beschl. v. 09.11.2009 - IV B 54/09 Rn. 7 m.w.N. - BFH/NV 2010, 448). Eine Rechtsmittelbelehrung soll regelmäßig so einfach und klar wie möglich gehalten werden, um im Interesse rechtsunkundiger Beteiligter eine inhaltliche Überfrachtung zu vermeiden. Deshalb genügt es, wenn sie den Gesetzeswortlaut wiedergibt und verständlich über allgemeine Merkmale des Fristbeginns sowie über die Fristdauer informiert (BFH, Urt. v. 20.11.2013 - X R 2/12 Rn. 15 ff. - BStBl II 2014, 236: Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 7/2014 Anm. 1; BFH, Urt. v. 28.04.2020 - VI R 41/17 Rn. 16 - BStBl II 2020, 531; Anm. Geserich, jurisPR-SteuerR 39/2020 Anm. 1; BFH, Beschl. v. 06.07.2016 - XI B 36/16 Rn. 28 - BStBl II 2016, 863; Anm. Steinhauff in jurisPR-SteuerR 44/2016 Anm. 1).
II. Mit der durch das EGovG ab 01.08.2013 in § 357 Abs. 1 Satz 1 AO aufgenommenen Ergänzung hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, die Einspruchseinlegung weiterhin elektronisch auch ohne eine qeS zuzulassen. Denn das dadurch entstandene Begriffspaar „schriftlich oder elektronisch“ enthält keinen Hinweis auf § 87a Abs. 3 Satz 2 AO. In der Gesetzesbegründung führt der Gesetzgeber hierzu aus, die nicht mit einer Rechtsänderung verbundene Ergänzung in Satz 1 stelle klar, dass unter der Voraussetzung der Zugangseröffnung (§ 87a Abs. 1 AO) ein Einspruch auch elektronisch ohne qeS eingelegt werden könne (BT-Drs. 17/11473, S. 52). Dem trägt die gesetzliche Regelung des § 357 AO dadurch Rechnung, dass sie mit der Einfügung des Wortes „elektronisch“ lediglich die Voraussetzungen regelt, unter denen die Übermittlung eines elektronischen Dokuments den Anforderungen der Schriftlichkeit entspricht. Dadurch wird insbesondere gewährleistet, dass eine gewollte verfahrenseinleitende Erklärung vorliegt und diese Erklärung von einer bestimmten Person herrührt (§ 357 Abs. 1 Satz 2 AO), welche die Verantwortung für den Inhalt übernimmt. Insoweit wird zwischen „elektronischer Form“ i.S.d. § 87a Abs. 3 Satz 2 AO (elektronisches Dokument + qeS) und „elektronisch“ i.S.d. § 357 Abs. 1 Satz 1 AO unterschieden (Siegers in: HHS, § 357 AO Rn. 20; BT-Drs. 17/11473, S. 48 f.).
III. Dies ergibt sich auch aus einem Vergleich mit dem Widerspruchsverfahren im Verwaltungsrecht. Der Gesetzgeber hat für das Einspruchsverfahren nach der Abgabenordnung eine andere Lösung gewählt als im Widerspruchsverfahren nach der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und dem Sozialgerichtsgesetz (SGG). Während er für letztere Verfahren durch Einfügung der Wörter „in elektronischer Form nach § 3a Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes“ in § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO und „in elektronischer Form nach § 36a Abs. 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch“ in § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG die Erforderlichkeit einer besonderen elektronischen Form (qeS) für den Widerspruch vorgesehen hat, die an Stelle der Schriftform treten kann, wahrt im finanzbehördlichen Einspruchsverfahren auch die Einspruchsübermittlung als elektronisches Dokument ohne qeS die in § 357 Abs. 1 Satz 1 AO vorgesehene Form, sofern die Behörde einen Zugang für die elektronische Kommunikation eröffnet hat (§ 87a Abs. 1 Satz 1 AO).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Besprechungsentscheidung gibt zutreffend die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für die Abfassung von Rechtsbehelfsbelehrungen nach § 356 AO wieder. Zugleich ist der Hinweis in der Entscheidung von Bedeutung, dass es dem Steuerpflichtigen zumutbar ist, sich ggf. Klarheit über die begrifflichen Voraussetzungen in der Rechtsbehelfsbelehrung zu verschaffen, was durch Inanspruchnahme von Kommentierungen oder die Einholung von Rechtsrat oder den Kontakt zu der erlassenden Behörde, im Streitfall der Familienkasse, infrage kommt.



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