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Anmerkung zu:BayObLG München Vergabesenat, Beschluss vom 06.06.2023 - Verg 8/23 e
Autor:Sarina Schäffer-Teichert, RA'in
Erscheinungsdatum:13.02.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 42 VgV 2016, § 60 VgV 2016
Fundstelle:jurisPR-VergR 2/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Lutz Horn, RA
Zitiervorschlag:Schäffer-Teichert, jurisPR-VergR 2/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Eignungs- und Preisprüfung: Braucht die Vergabestelle hierfür einen Rechtsanwalt?



Orientierungssatz zur Anmerkung

Die Eignungs- und Preisprüfung gehören zu den originären Aufgaben der Vergabestelle, so dass es zur Rechtsverteidigung nicht ohne Weiteres eines anwaltlichen Beistands bedarf. Allein der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit oder die personelle Ausstattung der Vergabestelle reichen nicht aus, um die Notwendigkeit der Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten zu bejahen.



A.
Problemstellung
Das BayObLG hatte zu entscheiden, ob die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Vergabestelle notwendig war. Das von der Antragstellerin eingeleitete Nachprüfungsverfahren beschränkte sich ausschließlich auf Themen, die die Eignung und die Preisprüfung betrafen.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Auftraggeber schreibt einen Dienstleistungsauftrag über verschiedene abfallwirtschaftliche Dienstleistungen europaweit aus. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Nachdem die Antragstellerin darüber informiert wurde, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen, rügte die anwaltlich vertretene Antragstellerin die Vergabeentscheidung als vergaberechtswidrig. Sie habe erhebliche Zweifel, dass die Beigeladene über eine Übernahmestelle im Landkreis verfüge bzw. auf eine solche Zugriff habe, die über hinreichende Kapazitäten verfüge und die immissionsschutzrechtlich für die erheblichen Umschlagsmengen genehmigt sei. Weiter äußerte sie Zweifel an der Wirtschaftlichkeit des Angebots. Nach Zurückweisung der Rügen durch die Vergabestelle hat die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag gestellt und ihre Argumentation vertieft. Die Vergabestelle hat durch ihren Verfahrensbevollmächtigten vortragen lassen, dass die Beigeladene die Eignungskriterien erfülle. Auf die Rüge der Antragstellerin hin sei aufgeklärt worden, ob die Mengen von Papier, Pappe und Karton aus dem Sammelsystem des Antragsgegners neben den abzuwickelnden Mengen anderer Auftraggeber an der Übernahmestelle verarbeitet werden könnten. Weiterhin habe die Beigeladene die einschlägigen BImSchG-Genehmigungen vorgelegt. Die angebotenen Einheitspreise seien aufgeklärt worden. Die Antragstellerin hat ihren Nachprüfungsantrag nach Gewährung von Akteneinsicht zurückgenommen. Die Vergabekammer hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners und der Beigeladenen der Antragstellerin auferlegt. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Vergabestelle hat die Vergabekammer als nicht notwendig erachtet. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Vergabestelle mit der sofortigen Beschwerde. Sie ist der Ansicht, der Abfallwirtschaftsbetrieb habe als organisatorisch, verwaltungsmäßig und finanzwirtschaftlich gesondertes wirtschaftliches Unternehmen gehandelt. Der Abfallwirtschaftsbetrieb verfüge weder über einen eigenen Juristen noch über eine mit Vergabespezialisten besetzte, zentrale Beschaffungsstelle. Auch wenn man wegen der fehlenden Rechtsfähigkeit des Abfallwirtschaftsbetriebes auf das Landratsamt abstelle, führe dies zu keiner anderen Beurteilung. Das Landratsamt verfüge zwar über eine erfahrene Juristin, diese habe aber keine vergaberechtliche forensische Berufserfahrung und sei zudem nur in Teilzeit beschäftigt. Um die kurzfristigen Belastungsspitzen durch das Nachprüfungsverfahren abzudecken und um Waffengleichheit mit der ebenfalls anwaltlich vertretenen Antragstellerin herzustellen, sei die Hinzuziehung notwendig gewesen.
Die zulässige Beschwerde hatte in der Sache keinen Erfolg. Die Frage, ob die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig sei, ist nach den Ausführungen des Senats unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu betrachten. Abzustellen sei darauf, ob der Beteiligte unter den Umständen des Einzelfalls auch selbst in der Lage gewesen wäre, aufgrund der bekannten und erkennbaren Tatsachen den Sachverhalt zu erfassen, der im Hinblick auf eine angebliche Missachtung vergaberechtlicher Bestimmungen von Bedeutung ist und hieraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung oder Rechtsverteidigung nötigen Schlüsse zu ziehen. Hierfür könnten neben Gesichtspunkten wie der Einfachheit und Komplexität des Sachverhalts, der Überschaubarkeit oder Schwierigkeit der zu beurteilenden Rechtsfragen auch rein persönliche Umstände in der Person des Beteiligten maßgeblich sein, wie etwa seine sachliche und personelle Ausstattung. Die Einzelfallentscheidung sei auf der Grundlage objektiv anzuerkennender Erfordernisse im Rahmen einer ex-ante-Prognose zu treffen, wobei ergänzend auch der Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleichheit in die Prüfung einfließen könne.
Nach den Ausführungen des BayObLG wird die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch den öffentlichen Auftraggeber regelmäßig nicht für notwendig erachtet, wenn eine vergaberechtliche Angelegenheit lediglich einfache, auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen auf der Grundlage geklärter Rechtsgrundsätze aufwirft, deren Darlegung und Vertretung im Nachprüfungsverfahren erwartet werden kann. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Senat die Hinzuziehung eines anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten durch die Vergabestelle hier nicht als notwendig erachtet. Der nur 16-seitige Nachprüfungsantrag habe sich auf zwei eng umgrenzte Rechtsfragen reduziert. Sowohl die Eignungsprüfung (§ 42 Abs. 1 VgV) als auch die Preisprüfung (§ 60 VgV) gehörten zu den originären Aufgaben der Vergabestelle, so dass es zur Beantwortung der damit verbundenen typischen Fragestellungen und zur Rechtsverteidigung im Nachprüfungsverfahren nicht ohne Weiteres eines anwaltlichen Beistands bedürfe. Der Antragsgegner habe lediglich anhand der von der Beigeladenen vorgelegten Unterlagen überprüfen müssen, ob die benannte Übernahmestelle über eine Genehmigung verfüge. Die Angaben der Beigeladenen hätten bei einer sorgfältigen Lektüre der vorgelegten Unterlagen ohne weiteres nachvollzogen werden können. Bei schlichten auftragsbezogenen Sach- und Rechtsfragen sei davon auszugehen, dass sich die Vergabestelle selbst verteidigen könne. Der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit und die personelle Ausstattung der Vergabestelle reichen dann nicht aus, um die Kostenerstattung zu begründen.


C.
Kontext der Entscheidung
Das BayObLG stellt zunächst heraus, dass es sich bei der Frage, ob die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts notwendig war, um eine Einzelfallentscheidung handelt. Die in Betracht zu ziehenden Umstände werden von dem Senat im Einzelnen ausgeführt. Von entscheidender Bedeutung ist, ob die vergaberechtliche Angelegenheit lediglich einfache, auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen aufwirft, die der Auftraggeber selbst hätte klären können. Bei rechtlich noch ungeklärten oder nicht dem klassischen Vergaberecht zuzurechnenden Rechtsfragen oder besonderer Komplexität des Sachverhalts soll die Tendenz für die Notwendigkeit anwaltlicher Vertretung sprechen. Vorliegend ließ sich das Nachprüfungsverfahren auf zwei eng umgrenzte Rechtsfragen reduzieren: die Eignungsprüfung nach § 42 Abs. 1 VgV und die Preisprüfung nach § 60 VgV. Hierbei handelt es sich um die originären Aufgaben der Vergabestelle. Das Verfahren hat sich nach der Einschätzung des BayObLG auf schlichte auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen beschränkt. Der Sachverhalt sei daher ohne anwaltliche Unterstützung zu erfassen gewesen. Den Einwand der Vergabestelle, dass sie nicht über ausreichende personelle Kapazitäten verfügte und Waffengleichheit mit dem anwaltlich vertretenen Bieter herzustellen sei, hat der Senat in einem solchen Fall nicht ausreichen lassen. Das BayObLG hebt hervor, dass diese Gesichtspunkte nur ergänzend herangezogen werden könnten, allein aber nicht ausreichten. Der Senat knüpft mit dieser Einschätzung an die ständige Rechtsprechung des OLG Düsseldorf an (Beschl. v. 16.03.2020 - VII-Verg 38/18 und Beschl. v. 16.11.2018 - VII-Verg 60/17).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Für den öffentlichen Auftraggeber ist kaum zu prognostizieren, ob die anfallenden Kosten eines hinzugezogenen Rechtsanwalts später erstattet werden. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. Die Frage, ob ein Sachverhalt einfach oder komplex ist, wird jeder Richter abweichend beurteilen. In der Tendenz werden die Anforderungen, unter denen die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch den öffentlichen Auftraggeber für notwendig erklärt wird, von den Obergerichten stetig angehoben. Die Aussage, dass die Eignungs- und Preisprüfung originäre Aufgabe der Vergabestelle ist, ist zutreffend. Hervorzuheben ist allerdings, dass die Vergabestelle den Sachverhalt durchdringen und prüfen muss, ob der Vortrag des anwaltlich vertretenen Bieters für die Frage der Eignungs- und Preisprüfung überhaupt relevant ist. In Zeiten, in denen die öffentlichen Auftraggeber personell stets unterbesetzt sind, sollte die Rechtsprechung die Anforderungen an die Erstattung der Rechtsanwaltskosten nicht zu hoch setzen. Bieter, die ins Blaue hinein ein Nachprüfungsverfahren in die Wege leiten und hierdurch Ressourcen in Anspruch nehmen, sollten von den Kosten des Verfahrensbevollmächtigten des öffentlichen Auftraggebers nicht bewahrt werden.



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